Der Kampf gegen den Klimawandel gehört zu den drängendsten Herausforderungen unserer Zeit. Das Thema wird auch in der Wintersportbranche, die es besonders betrifft, heiß diskutiert. Es bewegt sich viel, sowohl in den Destinationen als auch in der Industrie. Jeder Player stellt Prozesse um, verwendet neue und möglichst viele recycelte Materialien, setzt auf erneuerbare Energien. So präsentiert Rossignol mit dem „Essential“ einen Ski, bei dessen Konzeption Nachhaltigkeit im Fokus stand. Marker stellt mit der „Cruise“ die erste Bindung vor, die mit nachhaltigen Materialien hergestellt wird – um nur zwei Beispiele zu nennen.
Atomic geht beim Klimagipfel voran
„Das Klima ist ein komplexes, empfindliches System. Es ist unsere Verantwortung, zu lernen, verantwortungsvolle Kompromisse einzugehen und jede Anstrengung zu unternehmen, um die Auswirkungen unserer Geschäftstätigkeit auf die Welt, die wir lieben, zu minimieren“, lässt Atomic verlauten. Weil eine echte Transformation nur gemeinsam gelingen kann, hat die österreichische Traditionsfirma das Heft in die Hand genommen, die Branchenkollegen aktiviert und den ersten Klimagipfel der Ski-Industrie initiiert. Mitte September tauschten sich rund 140 Teilnehmer, darunter Skimarken, Zulieferer, Einzelhändler und Branchenspezialisten, zwei Tage lang in Salzburgs Universität intensiv zum Thema Nachhaltigkeit aus.
Die Kernfrage lautet: Wie kann die Ski-Industrie nachhaltiger werden? Nur in Zusammenarbeit von Herstellern, Handel und Skifahrern – da waren sich alle Teilnehmer einig. Denn die Herausforderung, das Equipment nachhaltiger zu produzieren, den CO2-Fußabdruck deutlich zu reduzieren und perspektivisch Ski und Boots in eine Kreislaufwirtschaft einzubetten, ist enorm.
Klimagipfel der Skiindustrie
Auch das SKIMAGAZIN war zum Summit eingeladen und hat an Workshops, Vorträgen und Diskussionsrunden teilgenommen. Zudem haben wir mit Ronny Schwarzenbrunner, Sustainability Manager von Atomic, über Nachhaltigkeitsstrategien, die besonderen Herausforderungen für die Skibranche, die Probleme bei der Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft und über Perspektiven gesprochen.
SKIMAGAZIN: Hallo Ronny, wie definiert Atomic Nachhaltigkeit?
Ronald Schwarzenbrunner: Wir legen den Fokus auf den CO2-Fußabdruck. Als Ski-Industrie sehen wir hier klar das größte Risiko! Sprich: Wenn wir hier nicht schnell aktiv werden, wird es bald keine relevanten Winter mehr geben. Deswegen bedeutet für uns Nachhaltigkeit, den CO2-Fußabdruck signifikant – um 50 Prozent bis 2030 – zu reduzieren, um so unseren Beitrag im Kampf gegen die globale Erderwärmung zu leisten. Gleichzeitig haben wir die Chemikalien im Blick und kennen die planetaren Grenzen, die unsere Erde aushalten kann. Das ist ein wichtiger Aspekt, wenn es etwa um die Beschaffung neuer Materialien geht. Darüber hinaus legen wir auch großen Wert auf soziale Aspekte. Das alles bedeutet Nachhaltigkeit.
Beim Klima müssen alle mit an Bord
Ihr möchtet euren Beitrag leisten, um eines der Ziele des Green Deal der EU-Kommission für den grünen Wandel zu erreichen, und zwar die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf nahezu null zu reduzieren.
Ja, überall, wo wir angreifen können, werden wir unseren Beitrag leisten. Wenn wir einen Skitag im Ganzen betrachten, dann ist die Skiproduktion nur ein kleiner Teil, der in die CO2-Bilanz einfließt. Das heißt aber nicht, dass wir den Ski rausnehmen können oder wollen. Wir wollen die Treibhausgas-Problematik nicht Transportunternehmen, Bergbahnen, Hotelbetreibern oder den Skifahrern selbst überlassen. Im Gegenteil: Wir müssen als Ski-Industrie unsere Hausaufgaben machen, und wenn wir diese bewältigt haben, dann müssen wir auf alle Beteiligten eines Skitages zugehen und fragen, ob wir nicht gemeinsam etwas bewirken können.
Es soll also nicht nur Kollaborationen innerhalb der Ski-Industrie geben, sondern auch mit Seilbahnbetreibern, Regionen, Skifahrern. Richtig?
Absolut. Wobei einzelne Gebiete teilweise jetzt schon sehr nachhaltig arbeiten, etwa die Skiregion Flachau. Sie setzt auf wasserstoffbetriebene Pistenbullys. Andere Skigebiete setzen auf erneuerbaren Strom, beispielsweise aus Fotovoltaikanlagen, die sie selbst installiert haben und betreiben. Hier geht es in die richtige Richtung. Aktuell ist noch nicht abschätzbar, welche Rolle Atomic hier übernehmen kann, aber vielleicht können wir eine Schnittstelle zu unseren Partner-Skigebieten sein.
Mehrere Aspekte der Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit beginnt bei der Entwicklung eines Skis oder Skischuhs …
Auf jeden Fall. Wir müssen einerseits darauf achten, dass wir nur noch leicht recycelbare und reparierbare Produkte auf den Markt bringen, andererseits gilt unser Augenmerk auch den vielen Skimodellen, die bereits im Einsatz sind oder im Keller stehen. Diese Ski und auch Boots sind nicht so designt, wie wir das zukünftig machen wollen. Das bedeutet, wir müssen hier am Ende ansetzen und uns dazu nachhaltige Lösungen überlegen.
Wie sehen die aus?
Wir machen viele Tests in Richtung Schreddern und versuchen, so viel Material wie möglich zurückzugewinnen. Bei Skischuhen ist das etwas einfacher, allerdings gibt es auch hier Probleme, wenn wir das recycelte Material neuen Skischuhen beimengen wollen. Aber wir arbeiten daran.
Skischuhe aus recycelten Skischuhen und Ski aus Ski
Liegt hier die Schwierigkeit in der Performance?
Genau. Aktuell können Skischuhe zwei bis drei Zyklen aus recycelten bzw. teilweise recycelten Materialien wiederhergestellt werden. Danach lässt die Performance nach. Ein weiteres Problem liegt in der Diversität der Materialien. Wir müssen viele Alt-Skischuhe recyceln, um überhaupt wieder neue Boots daraus herstellen zu können. Allerdings sind die Materialien so unterschiedlich, dass wir hier kein hohes Performance-Level erreichen können. Bei Ski versuchen wir, so viel wie möglich zu sortieren, sodass wir es selbst wiederverwenden können. Aber ich gehe davon aus, dass wir hier in andere Richtungen denken müssen. Dahingehend, dass wir die recycelten Materialien an andere Industriezweige verkaufen. Gerade bei Metallen gibt es einen Recyclingstream, der jetzt schon funktioniert. Wenn man zum Wertstoffhof geht und Alu oder andere Metalle zurückgibt, bekommt man Geld dafür, das verhält sich in anderen Industriezweigen gleich. Aus Holz könnte man Spanplatten produzieren, hier gibt es bereits Test, die funktionieren. Für die weiteren Materialien müssen wir noch herausfinden, welche Industriezweige daran Interesse haben könnten.
Wichtig ist, über den Tellerrand zu blicken und den Austausch zu suchen, oder?
Absolut. Nehmen wir nur mal die Abfälle, die bei der Skiproduktion anfallen. Hier stehen wir mit 80 bis 100 Firmen und Recyclern in Kontakt. Manche davon wissen nichts mit den Abfällen anzufangen, andere können Teile wiederverwenden und kaufen uns diese ab. Der Best Case wäre ein geschlossener Kreislauf, sprich: Aus einem Ski wird wieder ein Ski.
Performance steht an erster Stelle
Stichwort Kreislaufwirtschaft – auch hier stellt die EU an die Industrie klare Forderungen. Können diese von der Ski-Industrie direkt umgesetzt werden?
Es kommt darauf an, welche Technologien wir oder andere Firmen und Zulieferer hier in naher Zukunft entwickeln. Es gibt recycelbare Epoxidharz-Systeme, diese erfüllen aber leider noch nicht die Anforderungen, die wir brauchen. Hier sind wir aber mit unseren Lieferanten in der Weiterentwicklung. Wir können unsere Produkte so einfach zerlegbar wie möglich machen, doch Performance und Robustheit dürfen auf keinen Fall darunter leiden. Die Qualität muss konstant gleich bleiben, sonst ist der Impact des Skis auf einmal höher. Das ergibt auch wenig Sinn. Insgesamt wird eine vollständige Umsetzung der Kreislaufwirtschaft schwierig. Ich denke, Teile von Produkten werden in einen geschlossenen Kreislauf überführt werden können. Ob es zu 100 Prozent klappen wird, da bin ich mir unsicher.
Von der Glaskugel zur Realität: Ist ein Carbon-Ski tatsächlich ökologischer, nur weil er mit „grünem“ Strom erzeugt wurde?
Wenn man die Carbon-Ski untereinander vergleicht, dann ist der, der mit „grünem“ Storm hergestellt wurde, nachhaltiger. Egal welche Produktionsphase wir betrachten: Sobald nur Teile davon mit erneuerbarem Strom erzeugt werden, das betrifft auch die Carbonfaser selbst, verbessert sich die CO2-Bilanz. Natürlich ist es das Rohmaterial, das viel Energie benötigt. Aber gerade deswegen macht Strom aus erneuerbaren Quellen den Unterschied.
Ski mit Öko Score
Im September 2020 wurde in Deutschland der sogenannte Nutri-Score eingeführt. Die fünfstufige Farbskala von A bis E gibt den Endverbrauchern leicht verständlich Auskunft über den Nährwert eines Lebensmittels. Wäre eine ähnliche Skala für die Nachhaltigkeit von Ski und Boots nicht auch interessant für die Kunden?
Das ist unser Ziel. Aber dafür braucht es Vorlauf und den Zuspruch des EU-Parlaments. Hier müssten alle verpflichtend teilnehmen, nur so wird eine echte Vergleichbarkeit der Produkte gewährleistet. Ich würde mich freuen, wenn es eine Guideline gibt. Ich gehe davon aus, dass die EU etwas in dieser Richtung entwickeln wird. Grundsätzlich sind wir auf dem richtigen Weg. Und ich bin sehr gespannt, welche Kollaborationen nach dem ersten Klimagipfel entstehen und wie wir gemeinsam die Zukunft der Ski-Industrie nachhaltiger gestalten können, damit wir alle noch viele tolle Winter im Schnee auf Ski erleben können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das ist unser Experte
Ronald Schwarzenbrunner ist Nachhaltigkeitsmanager bei Atomic. Er hat Holztechnologie & Holzwirtschaft studiert, das Thema seiner Masterarbeit lautete „Sustainable Ski Development“. In seinem Studium ging es nicht nur um Holz, sondern um alle biogenen Materialien wie Naturfasern und nachhaltige Klebstoffe. Er verfügt über fundierte Erfahrungen in Materialprüfungen, Produktionsprozessen, Materialeigenschaften und Ökobilanzen. Derzeit beschäftigt er sich unter anderem mit der Implementierung des Umweltmanagementsystems am Standort Altenmarkt.
Ski Industry Climate Summit 2023
Rund 140 Teilnehmer, darunter Skimarken, Zulieferer, Einzelhändler und relevante Organisationen, trafen sich Mitte September in Salzburg zum Nachhaltigkeitsgipfel der Ski-Industrie, ins Leben gerufen von Atomic mit Unterstützung der Umweltorganisation POW und des europäischen Bundes der Sportartikelindustrie FESI. Ziel des zweitägigen Gipfels war es, die wichtigsten Interessengruppen zusammenzubringen, um gemeinsam wirksame Veränderungen in puncto Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft voranzutreiben und sich mit den kritischen Herausforderungen der Ski- und Boot-Herstellung auseinanderzusetzen. Es ging um mögliche Material- und Produktionsstandards und eine einheitliche Linie, wie man diese an den Handel und die Endverbraucher kommuniziert. Durch die intensivere Zusammenarbeit und den Wissensaustausch hat der Summit den Weg für greifbare Lösungen zur Verringerung des CO2-Fußabdrucks bereitet. „Der Klimagipfel hat gezeigt, welches Potenzial in der Zusammenarbeit der Branche steckt“, sagt Helmut Holzer, Director of Anticipation & Advanced Research bei Atomic. „Wir haben bedeutende Fortschritte gemacht, und die dabei gezeigte Einigkeit treibt unsere gemeinsamen Anstrengungen zum Schutz der Umwelt und des Klimas voran, die den Wintersportlern am Herzen liegen.“
Die wichtigsten Erkenntnisse des Gipfels:
1. Interaktive Zusammenarbeit: Die Veranstaltung brach mit den Normen der Branche, indem sie eine intensive Interaktion ermöglichte. Dieser neuartige Ansatz förderte den Dialog und die sektorübergreifende Zusammenarbeit und schuf einen Präzedenzfall für künftige Initiativen.
2. Branchenweite Beteiligung: Mit der Teilnahme großer Skimarken wie Rossignol, Head, Salomon, Völkl, Burton, Niedecker sowie Einzelhändlern wie Decathlon, Sport Conrad, Bründl und Organisationen wie der European Outdoor Group und der Snowsports Industry Association förderte der Gipfel die Einigkeit und das Engagement der verschiedenen Interessengruppen.
3. Momentum für Klimamaßnahmen: In der Ski- und Snowboardindustrie gab es einen spürbaren Impuls für datenbasierte Klimamaßnahmen. Die Teilnehmer verließen den Gipfel mit umsetzbaren Erkenntnissen und Strategien zur Bewältigung der klimatischen Herausforderungen.
4. Bildung und Bewusstseinsbildung: Der Gipfel vermittelte wichtige Informationen und stellte sicher, dass die Branche gut auf die bevorstehenden Veränderungen vorbereitet ist.
5. Schwerpunkt Nachhaltigkeit: Der Gipfel rückte wichtige Handlungsbereiche wie Materialanforderungen, Informationsaustausch und Recyclingsysteme in den Fokus der Branche. Diese Diskussionen werden die Nachhaltigkeitsbemühungen in der Zukunft vorantreiben.
6. Angleichung der Standards: Die Teilnehmer streben in Arbeitsgruppen und Projekten die Festlegung gemeinsamer Standards an, wie z. B. die „Produkt-Umweltfußabdruck-Kategorienregel“ (PEFCR) und die Harmonisierung des Datenaustauschs, wodurch die Voraussetzungen für eine einheitliche Branchenpraxis geschaffen werden.