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9 Minuten

Nax, Arolla & Evolène – Skifahren in der ursprünglichen Schweiz

Die Schweiz hat einige der bekanntesten Skigebiete der Welt. Doch St. Moritz, Wengen oder Verbier sind nicht jedermanns Sache, zumal es zahlreiche herrliche Resorts gibt, die sich im Schatten des Gigantismus der Top-Destinationen mit traditioneller Ursprünglichkeit einen ganz besonderen Charme erhalten haben. 
Skifahrer vor verschneiter Bergkulisse.
©

Jimmy Petterson

Viele europäische Skifahrer waren schon in einem Schweizer Skigebiet – wahrscheinlich in einem der berühmten Resorts wie Zermatt, St. Moritz, Davos, Verbier, Gstaad, Wengen, Mürren oder Grindelwald. Dort trifft sich jedes Jahr der internationale Jetset, um Ski zu fahren sowie die neueste Ski-Ausrüstung und die edelsten Luxuskarossen zu präsentieren. Sie verkehren im gehobenen Dunstkreis mit anderen Mitgliedern der Oberschicht. Diese Resorts sind wunderschön, aber etwas über dem Budget des Durchschnitts-Skitouristen, selbst von Durchschnitts-Schweizern – vor allem, wenn man weiß, dass in vielen kleinen Gebieten, die sich über diese herrliche Bergnation hinweg verteilen, auch für deutlich weniger Geld und zudem mit weniger Menschen genauso gut Ski gefahren werden kann.

Unbekanntes Eringertal

Mit diesem Fact im Hinterkopf starte ich, das Auto bis zum Dach mit Ski-Ausrüstung gepackt, in das Val d’Hérens, zu Deutsch Eringertal, um mit meinem Sohn Erik und meinen Freunden Klaus, Chris, Rafi und Michi auf die Bretter zu gehen. Dieses weitestgehend unbekannte Tal beheimatet drei Skigebiete – Nax, Arolla und Evolène. Unser erster Halt ist Nax, nur 15 Kilometer über lange Serpentinen das Tal hinauf von Sion entfernt.

Ich hatte schon einige Geschichten über den ausgezeichneten Powder und das exzellente Freeride- Terrain dieser kaum beachteten Schweizer Dörfer gehört. Meine Freunde, Ski-Journalist George Koch und der Fotograf Martin Söderqvist, haben diese Gegend noch vor der Pandemie besucht, und Martin hat mir einige fantastische Powder-Shots mit bauchnabelhohem Tiefschnee gezeigt, die mein Herz sofort höherschlagen ließen. Leider finden wir dieses Mal solche Bedingungen nicht vor ...

Pulverschnee in apricot

In Nax hat es über drei Wochen lang nicht geschneit, und bei unserer Ankunft ist es ungewöhnlich warm für diese Jahreszeit. Darüber hinaus hat ein verrückter Sturm aus dem Süden tonnenweise Sahara-Sand über die Alpen verteilt und den Hängen einen apricotfarbenen Anstrich verpasst. Und die sonst so frische Bergluft ist von Sanddunst geschwängert. Wir müssen also auf der Piste bleiben und uns auf andere Aspekte der Region konzentrieren.

In Nax gibt es einen alten Zweiersessel, zwei Vierersessel und einen Schlepplift. In vier Abschnitten befördern diese Skifahrer respektable 1.145 Höhenmeter auf den Mont Noble. Vom Gipfel aus hat man eine tolle Aussicht auf das weite Offpiste-Terrain mit den Spuren der Skifahrer, die sich in den vergangenen Wochen hier im Pulverschnee ausgetobt haben. Ein Großteil des an die höchste Piste angrenzenden Gebiets ist als spezieller Skitouren-Park ausgewiesen, und es ist klar, dass mit Tourenequipment noch viel mehr Freeride-Routen leicht zu erreichen sind. Doch unter den gegebenen Bedingungen verbringen wir den Tag bei körnigem Schnee auf der Piste.

Berge mit Schnee vor tiefblauem Himmel.
© Christoph Clivaz

Bescheidenes Skigebiet

Die Sonne weicht den harten Frühlingsschnee leicht auf, gegen zehn Uhr herrschen perfekte Bedingungen. Wir geben auf einem schönen Mix fast leerer Pisten richtig Gas, ohne anderen Skifahrern ausweichen zu müssen. Wir runden den Auftakttag mit einem Käse- und Tomatenfondue auf der Terrasse des direkt an der Piste gelegenen Restaurants Dzorniva ab. Am zweiten Tag das gleiche Szenario, nur genehmigen wir uns da in der Nachmittagssonne Beef-Tartar an der reizenden alten Chiesso-Hütte.

Aber nicht falsch verstehen, ich rede hier nicht von den riesigen Terrassen, die man von den großen Skigebieten gewöhnt ist. Wo Hunderte Gäste jeden Sitz belegen und die Kellner zur Mittagszeit hektisch umhereilen, um alle irgendwie zufriedenzustellen. Nein, wir sitzen gemächlich in entspannter Atmosphäre, umgeben von fast leeren Tischen, nippen an unserem Rotwein und genießen einen Skitag, so wie die alten Hasen ihn noch erlebt haben, bevor unser Sport zum großen Business wurde. Und dann fahren wir – kaum zu glauben, aber wahr – nach dem Mittagessen auf der Hauptpiste die gesamten 1.145 Höhenmeter ins Tal und treffen dabei keinen einzigen Skifahrer!

Gegenüber von Zermatt

Nach zwei Tagen in Nax ziehen wir weiter nach Arolla. Arolla ist bloß einen Katzensprung vom berühmten Zermatt entfernt, aber der Unterschied zwischen den beiden ist erheblich. Beginnend – natürlich – bei den Preisen: Ein Tagesskipass in Zermatt kostet umgerechnet 100 Euro, in Arolla gerade mal 45! Egal ob Liftpass, eine Mahlzeit oder ein Hotelzimmer, die Kosten im ganzen Eringertal belaufen sich bei fast allem nur auf die Hälfte dessen, was man beim berühmten Big Player zahlen würde.

Selbstverständlich unterschiedet sich die Infrastruktur von Zermatt ziemlich von der in Arolla. Ähnlich wie Nax hat Arolla nur fünf Lifte, alles Schlepper. Es kann kalt, ermüdend und ziemlich langweilig werden, den ganzen Tag 1.000 Höhenmeter im tiefsten Winter so hinaufzufahren, aber es bringt auch etwas Schönes mit sich: Die relativ einfache Infrastruktur hält die Menschenmenge auf einem Minimum, und leidenschaftliche Puristen, denen es nur ums Skifahren geht, können ein tolles Berg-Erlebnis in verhältnismäßiger Einsamkeit genießen.

SNOWTREX.png
© SNOWTREX

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Skifahrer im Tiefschnee vor Bergpanorama.
© Martin Söderqvist/Jimmy Petterson

Einzigartiges Panorama

Ich bin ein erfahrener Reisender und nicht so leicht beeindruckt, aber der Ausblick von der Veranda ist atemberaubend. Das Hotel du Glacier ist treffend benannt. Während wir in Richtung Süden schauen, werfen wir unseren Blick auf den stark vergletscherten Pigne d’Arolla (3.796 m) und weiter östlich, die Grenze zwischen der Schweiz und Italien definierend, befindet sich ein weiterer eisiger Gigant, der Mont Collon (3.637 m). Direkt gegenüber der Eingangstür ragen die Grandes Dents empor – ein gezackter Felsrücken, hervorgehoben durch eine Gipfelspitze, die Aiguille de la Tsa, auch bekannt als das Matterhorn von Arolla.

Auch auf den Pisten erwartet uns die umwerfende Aussicht auf altes Gletschereis. Zwei aufeinanderfolgende Schlepplifte bringen Skifahrer zum höchsten Punkt des Resorts auf gut 3.000 Metern. Es gibt nicht viele Pisten – eine blaue, eine schwarze und ein paar rote –, und diese sind alle ziemlich schmal. Aber das Offpiste-Angebot ist groß. Allzu gern würde ich sagen, dass wir in einen Ozean aus Pulverschnee eingetaucht sind wie Engel in ein Wolkenmeer, aber das wäre reine Fiktion. Die Bedingungen sind nicht anders als in Nax, wir fahren auf der Piste und haben wieder massig Spaß. Die Hänge sind fast leer, und der Schnee ist toll, während der Glacier de Tsijiore Nouve eine spektakuläre Kulisse bietet.

Legendäre Ski-Geschichten

Beim Mittagessen fällt mein Blick auf ein paar Dutzend Tourengeher auf einem Bergrücken Richtung Süden. Arolla ist wahrhaftig das Reich der Alpinisten und der Bergziegen. Wo wir gerade davon sprechen, haben wir am Ende des Skitags noch ein besonderes Vergnügen auf Lager: Arolla ist auch die Heimat des legendären Extrem-Skifahrers Dédé Anzévui, den wir beim Après-Ski auf ein Glas Weißwein treffen.

Ich bin mir nicht sicher, ob Dédé eher als Alpinist oder Bergziege einzuordnen ist. Jedenfalls ist sicher, dass Dédé zumindest teilweise eine Bergziege ist. 1989 war er die erste – und immer noch einzige – Person, die auf der Nordwand des Matterhorns Ski gefahren ist. Obwohl Dédés Name nicht so bekannt ist wie der von Patrick Vallençant, Shane McConkey oder Doug Coombs, lebt er im Gegensatz zu diesen berühmten Extremski-Kollegen bis ins hohe Alter, um seine Geschichten zu erzählen. Auch in seinen Mittsechzigern ist Dédé noch echt fit und arbeitet im lokalen Heli-Ski-Betrieb als Guide.

Aufnahme eines Skifahrers mit leicht vernebelter Bergkulisse im Hintergrund.
© Martin Söderqvist/Jimmy Petterson

Im Eringertal steht die Zeit still

Während viele Skigebiete exponentiell expandiert haben, hat es das Val d’Hérens geschafft, seinen authentischen Charakter und altertümliche Traditionen intakt zu bewahren. Wir checken im Hotel La Montanara ein, einem kleinen Betrieb mit nicht mehr als drei Zimmern und einem gemütlichen Restaurant, geführt von Mademoiselle Elisabeth Vuigner und ihrer Familie. Unsere kleine Gruppe reicht aus, um das Hotel zu füllen. Das Dinner ist eine lokale Spezialität – „Viande d’Hérens zur Ardoise“ – ein riesiges Steak von örtlich gezüchteten Rindern, das auf einem knisternden Stein am Tisch serviert wird. Offensichtlich benötigen wir einen weiteren Tag voller sportlicher Aktivität, um ein paar Kalorien zu verbrennen.

Evolène ähnelt sowohl Nax als auch Arolla. Hier gibt’s einen alten Zweiersessellift am unteren Berg und drei Schlepper weiter oben. Das Gebiet bietet 1.373 Höhenmeter vom Gipfel bis nach unten, aber das ist nicht relevant. Es ist Mitte März, der letzte Tag der Saison in dem winzigen Skiort, und es hat unten nicht mehr genügend Schnee. Kein Problem. Die höher gelegenen Pisten reichen uns. Einmal mehr sind wir entzückt, als wir über die weiten, offenen Freeride-Hänge oberhalb der Baumgrenze blicken. Nächstes Mal ... Wir kehren zum Mittagessen am Bergrestaurants Chemeuille ein – und die alpine Schweizer Küche überwältigt uns erneut. Heute gibt’s eine cremige Kürbissuppe gefolgt von Rösti mit Pilzsauce.

Zeit für Skiabenteuer

Ein Prototyp einer Gondel ist auf der Veranda ausgestellt, der Kellner erklärt, dass ein solches Modell den Sessellift eventuell ersetzen könnte. Glücklicherweise gibt es keinen genauen Zeitplan. Im 21. Jahrhundert mit zunehmend digitalisiertem Alltag ist es beruhigend, für eine Weile einen Schritt zurückzugehen und das Tempo und die Lebensweise der Vergangenheit zu genießen. Vielleicht liegt es an meinem Alter und etwas Nostalgie, aber ich liebe es, an einem Frühlingsmorgen mit einem langsamen Sessellift den Berg hinaufzufahren und die Vögel zwitschern zu hören. Im Eringertal gibt es keine Eile. Die Pisten sind recht leer, und wenn Pulverschnee fällt, hat man einen riesigen Abenteuerspielplatz, auf dem man einige Zeit verbringen kann.

Wenn ihr das nächste Mal einen Skiausflug plant, lasst euren Laptop und euer Handy daheim, packt Bretter und Boots ein und macht einen Winterurlaub, wie er ursprünglich mal sein sollte – eine Fernab-von-allem-Auszeit vom Alltag. Tretet ein und genießt das urige Schweizer Tal, das in einer Zeitschleife existiert – das Val d’Hérens!

Infos: Eringertal, Wallis, Schweiz

Das Val d’Hérens, auf Deutsch Eringertal, ist ein Seitental der Rhone im Kanton Wallis im französischsprachigen Teil der Schweiz. Es handelt sich um das Tal des ehemaligen Hérens-Gletschers, der sich am Ende der letzten Eiszeit zurückgezogen hat. Neben dem Zugang zum großen Skigebiet „Les 4 Vallées“ punktet das Val d’Hérens mit kleinen, ursprünglichen Skigebieten, die viele abgeschiedene Freeride-Möglichkeiten und ruhige Pisten abseits des Trubels bieten, und gemütlichen familiengeführten Hotels. Aufgrund ihrer Höhenlage bieten die Skigebiete viel Schneesicherheit.

Skigebiet Nax – Mont-Noble 

  • Höhenlage: 1.495–2.640 m
  • Pistenkilometer: ca. 20
  • Anlagen: 6 Lifte
  • Hoteltipp: MontNoble, www.hotelmontnoble.ch

Skigebiet Arolla 

  • Höhenlage: 2.000–2.980 m
  • Pistenkilometer: ca. 20
  • Anlagen: 5 Lifte
  • Hoteltipp: Hotel du Glacier, www.hotelduglacier.ch

Skigebiet Evolène 

  • Höhenlage: 1.404–2.632 m
  • Pistenkilometer: ca. 29
  • Anlagen: 4 Lifte
  • Hoteltipp: Hotel La Montanara, www.lamontanara-evolene.ch

Infos: www.naxmontnoble.ch, www.evolene-region.ch

Reisen In den Bergen

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