Zurück in die Zukunft
Die Gebirgsjägerrunde in den Dolomiten
Alex Moling
In der sonnendurchfluteten, aber noch kalten Morgenluft stäuben dichte Atemwolken aus den Nüstern der kräftigen Noriker-Pferde. Geduldig warten sie hier im verschneiten Armentarola-Tal auf ihren nächsten Einsatz. So lange, bis sich genügend Skifahrer für die Fahrt durch die Ebene nach Alta Badia und damit zurück ins nächste Skigebiet gesammelt haben und der Kutscher mit einem Zungenschnalzen das Startsignal gibt. Kraft für bis zu 40 Skifahrer hat einer dieser Zweispänner, und so lassen wir uns nun am Seil durch die weiße Winterlandschaft ziehen und schwelgen in den frischen Erinnerungen. Wir sind am Ende der insgesamt 80 Kilometer langen Gebirgsjägerrunde angekommen, haben unseren Ausgangspunkt in La Villa, an dem wir tags zuvor gestartet sind, fast wieder erreicht. Hinter uns liegen prächtige Abfahrten durch verborgene Täler, Ausblicke auf imposante und gleichermaßen geschichtsträchtige Gebirgsmassive, gesellige Runden in urigen Berghütten, Saunagänge im Sonnenuntergang und eine Übernachtung in der Lagazuoi-Hütte auf knapp 3.000 Metern. Skifahrerherz, was willst du mehr?
Eine Rundtour – Fünf Skigebiete
In den 90er-Jahren nach dem Vorbild der berühmten Sellaronda lanciert, führt die gut ausgeschilderte und in beiden Richtungen befahrbare Gebirgsjägerrunde seither über 30 Pistenkilometer, 18 Kilometer Lifte und zwei kurze Skibusverbindungen rund um den Col di Lana. Jenen Berg, der im Ersten Weltkrieg aufgrund seiner strategischen Bedeutung hart von italienischen, österreichisch-ungarischen und deutschen Gebirgsjägern umkämpft war. Heute, gut 100 Jahre nach dem Ende des Krieges, sind wir in der glücklichen Lage, die einmalige Schönheit der Dolomiten auf zwei Brettern entdecken zu dürfen und dabei die Skigebiete von Arabba, Marmolada, Civetta, Cortina d’Ampezzo und Alta Badia zu durchqueren.
Sportlichen Skifahrern ist es durchaus möglich, die Runde an einem Tag zu bewältigen. Die Strecke auf zwei Tage aufzuteilen, verspricht jedoch ein weitaus größeres Erlebnis, ist man doch in immerhin fünf der insgesamt 15 Skigebiete des weltgrößten Skipass-Verbundes Dolomiti Superski unterwegs. Neben dieser großen Auswahl an Skigebieten sind mit diesem Skipass also stets auch weitere Abstecher in an die Gebirgsjägerrunde grenzende Gebiete möglich. Mühelos können dadurch weitere Highlights wie der Höhenflug auf die 3.343 Meter hohe Dolomitenkönigin Marmolata, die mythische Weltcupstrecke Gran Risa oder zwischendurch noch einige Pisten der Sellaronda erlebt und erfahren werden. Freilich ist der Start in die Gebirgsjägerrunde von zahlreichen Orten aus möglich, eine gute Variante ist der Einstieg in Alta Badia.
Um auf möglichst viele Pistenkilometer zu kommen und auch um die landestypische Küche mit ihren Schlutzkrapfen, Spinatknödeln und Kasnocken in den Berghütten ausgiebig zu genießen, empfiehlt sich eine zeitige Bergfahrt – in diesem Fall von La Villa aus auf den Piz La Ila. Oben angekommen, öffnet sich der Blick auf die Bergriesen und die schier unendliche weiße Pracht, in die es nun einzutauchen gilt. Über Corvara und den dortigen Piz Boè geht es hinüber nach Arabba, wo es nach dem ersten Aufwärmen dank gleich mehrerer schwarzer Traumpisten (wie der Fodoma von der Porta Vescovo hinunter) sportlicher wird. Doch auch wer diese schwierigere Variante gewählt hat, muss im Anschluss über den Passo Padon und die lange Abfahrt hinunter nach Malga Ciapela. Hier wartet mit der Gondel hinauf zur Marmolada und der anschließenden, noch längeren Abfahrt entweder gleich die nächste Herausforderung oder aber direkt und ohne diesen Umweg der Skibus in Richtung Alleghe im nächsten Skigebiet Civetta.
Nachhaltigkeit in den Dolomiten
Auf dem Weg dorthin versteht man, warum auch Dolomiti Superski längst an einem umfangreichen Nachhaltigkeitsprogramm arbeitet, das den CO2-Fußabdruck der hiesigen Skigebiete minimieren soll. Der katastrophale Wirbelsturm Vaia hatte im Herbst 2018 über 40 Millionen Bäume in der Region Trentino-Südtirol umgestürzt. Die Aufräumarbeiten in den schwer zugänglichen Bergregionen sind aus dem Skibus noch immer zu beobachten, und schwerwiegende Extremwetter-Ereignisse wie dieses sorgten für ein Umdenken bei den Verantwortlichen. Zum aktuellen Maßnahmenkatalog gehört daher die ausschließliche Verwendung von grünem Strom – vor allem aus Wasserkraft – durch fast alle Liftgesellschaften der Region, eine möglichst gezielte Beschneiung und die effizientere, computergesteuerte Verteilung des Schnees im jeweiligen Skigebiet. Dafür im Einsatz sind neueste Pistenraupen der Abgasnorm Euro 6, und auch hybrid- oder wasserstoffangetriebene Raupen sind bereits in Erprobung. Der wichtigste Aspekt, um möglichst viel CO2 einzusparen, ist und bleibt aber die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln“, wie der Bergbahnchef von Arabba, Diego De Battista, kurz zuvor bei der Erkundung seines Skigebietes verraten hat: „75 Prozent des CO2-Ausstoßes beim Skitourismus verursacht schließlich der individuelle Autoverkehr bei An- und Abreise.“ Genau deshalb arbeitet man bei Dolomiti Superski derzeit mit Nachdruck daran, möglichst alle eigenen Skigebiete mittels Busanschlüssen an die Zugtrassen der Region anzubinden und eine unkomplizierte öffentliche Anreise zu gewährleisten. „Die Skigebiete Kronplatz, Sexten sowie Jochberg/Gitschtal sind sogar direkt mit der Bahn aus Deutschland zu erreichen. Zudem streben wir Kooperationen mit verschiedenen Bahnunternehmen an, und weitere Busanschlüsse von anderen Bahnhöfen nach Gröden, Canazei und Alleghe sind bereits in Planung“, so Marco Pappalardo, Marketingdirektor bei Dolomiti Superski, bei einem Pressegespräch Anfang 2024.
Armentarola – Pures Skifahrerglück
Die Gebirgsjägerrunde indes eröffnet in Civetta neue Perspektiven, lenkt den Blick auf den beeindruckenden Monte Pelmo und lädt zur willkommenen Mittagsjause in der Hütte auf dem Monte Fernazza. Frisch gestärkt geht es im Anschluss auf die letzte Etappe des Tages. Zunächst hinunter nach Pescul, um von dort aus problemlos mit dem Skibus in das Gebiet von Cortina d’Ampezzo zu gelangen. Genauer gesagt nach Lagazuoi-Cinque Torri, um das Nachtlager im Rifugio Lagazuoi aufzuschlagen. Schon die Pisten dorthin erfreuen den Sportler und verwöhnen das Auge, der Gipfel des Lagazuoi verheißt aber noch mehr. Oben angekommen, wartet das Rifugio mit Holzofensauna auf der Terrasse für die müden Muskeln und der nötigen Stärkung nach dem erlebnisreichen Tag auf. Und mehr noch als das, ist die 2.752 Meter hoch gelegene Schutzhütte doch bestmöglicher Aussichtspunkt für die abendliche Enrosadira – das berühmte Abendglühen der Dolomitengipfel – und den Sonnenaufgang vor dem Frühstück.
Gleichsam ist sie morgendlicher Ausgangspunkt für eine der eindrucksvollsten Abfahrten in den Dolomiten, die man dank der frühen Stunde noch ganz für sich allein hat. So geht es mit den ersten Sonnenstrahlen rasant durch den unverspurten Schnee der 8,5 Kilometer langen Armentarola-Piste hinunter ins gleichnamige Tal. Das nahezu unberührte Hidden Valley, wie die Amerikaner es nennen, bleibt den meisten Skitouristen der Region verborgen und verdeutlicht einmal mehr, warum die Dolomiten seit 2009 den UNESCO-Titel Weltnaturerbe tragen. Vorbei an alten Zirbelkiefernwäldern, sehenswerten Eisfällen und majestätischen Felsriesen wie Cima Scotoni und Piz dles Conturines, zaubert die abwechslungsreiche Piste ein breites Grinsen ins Gesicht, das nicht das letzte bleiben soll. Unten angekommen, wartet mit dem Pferdelift von San Cassian schließlich ein reizvolles Fotomotiv und zudem der mit zwei waschechten PS wohl ökologischste Lift der Alpen überhaupt. Natürlich ist dieser kein Teil der neuen Nachhaltigkeitsstrategie von Dolomiti Superski – gut zu wissen ist es aber allemal, dass man hier in den Dolomiten die Zukunft fest im Blick hat und sich alle Mühe gibt, die allgegenwärtige Schönheit der Natur für nachfolgende Generationen zu bewahren.