Eigentlich hätte der Begriff „Lockdown“ bereits am 5. Februar 1976 erfunden werden müssen. Denn damals stand tatsächlich eine Nation still: Ganz Österreich belagert die Fernseher, als es bei den Olympischen Winterspielen von Innsbruck am Patscherkofel zum Showdown der weltbesten Abfahrer kommt: der 22-jährige Kärntner Franz Klammer gegen den Schweizer Bernhard Russi. Letzterer hatte 1972 auch deshalb Gold gewonnen, weil der Tiroler Karl Schranz bei den Spielen im japanischen Sapporo wegen eines Verstoßes gegen das Amateur-Gesetz nicht teilnehmen durfte. Nun winkt Russi in Innsbruck eine historische Chance. Vier Jahre nach seinem Sieg kann der Schweizer ein zweites Mal die Abfahrt gewinnen. Das hat vor ihm (und bis heute) noch keiner geschafft. Der Druck auf Klammer, der im Winter 1975/76 bereits einige Weltcup-Rennen für sich entscheiden konnte, ist deshalb enorm. Ganz Österreich will Revanche für 1972 und erwartet nichts anderes als Gold. Klammer behält vor 60.000 Zuschauern die Nerven und fährt beim für viele spannendsten Skirennen aller Zeiten mit 33 Hundertstel Vorsprung vor Russi durchs Ziel. ORF-Kommentator Edi Finger schreit sich vor Freude die Seele aus dem Hals. Und „Kaiser Franz“ wird zum Held der rot-weiß-roten Ski-Nation.
Natürlich muss „FK“ diese Geschichte den Fans wieder und wieder erzählen, als er im Dezember vergangenen Jahres in Bad Kleinkirchheim anlässlich seines 70. Geburtstages zum Legenden-Rennen einlädt. Der Kaiser ruft – und alle kommen: von Markus Wasmeier bis Stephan Eberharter, von Michi Dorfmeister bis Annemarie Moser-Pröll, von Michael Veith bis Gustav Thöni, von Leonhard Stock bis Renate Götschl, von Armin Assinger bis Ivica Kostelić. Das Format wollte wohlüberlegt sein, denn insbesondere in die Jahre gekommene, aber noch immer ehrgeizige Männer neigen ja dazu, sich gnadenlos zu überschätzen mit meist unguten Folgen für die Knochen. Und deshalb fährt der Franz als Erster den Riesenslalom auf der Piste oberhalb von St. Oswald und legt eine Zeit vor. Diese muss von den anderen „Legenden“ sodann nicht etwa geschlagen werden. Vielmehr gilt es, möglichst nahe an die Klammer-Zeit heranzufahren. Patrick Ortlieb, dem AbfahrtsOlympiasieger von 1992, gelingt dies mit nur acht Hundertstel Abstand am besten, und das Geburtstagskind unkt: „Das war das erste Rennen, das ich nicht gewinnen konnte.“
Mit Einfallsreichtum und Wille zu Rekorden
Der Jubilar, dessen insgesamt 25 Weltcupsiege in der Abfahrt bis heute ebenso unerreicht sind wie fünf Siege in der Abfahrts-Disziplinwertung, hat den Austragungsort mit Bedacht gewählt. Er wuchs als Sohn eines Bergbauern in Mooswald auf, 25 Kilometer entfernt. „Skilift gab es dort keinen. Ich habe damals selbst die Piste getreten, Sprungschanzen gebaut, Haselnuss-Stauden geschnitten und damit Tore gesteckt.“ Erst mit acht Jahren kommt er zum Training nach St. Oswald, wo es einen Einer-Sessellift gab. Dann geht es Schlag auf Schlag. In Bad Kleinkirchheim gewinnt Franz Klammer 1971 als 18-Jähriger auch seine erste Europacup-Abfahrt auf der FIS-Strecke „K70“. Ein geschichtsträchtiger Ort also …
Beim Legenden-Rennen, das ORF und BR live übertragen, geht es natürlich nicht mehr um Medaillen, sondern darum, gemeinsam eine gute Zeit zu haben. Vor allem zum damaligen Konkurrenten Bernhard Russi hat Franz Klammer den Draht nie abreißen lassen. „Innsbruck war der Beginn einer großartigen Freundschaft“, erklärt Russi. „Ich habe damals nicht Gold verloren, sondern Silber gewonnen – und einen Freund dazu. Der konstante Druck und die Gefahr bei den Rennen schweißten uns zusammen.“ So ähnlich sieht das auch Markus Wasmeier: „Die Gegner waren nicht die anderen Fahrer, sondern es war die eisige Piste.“ War es damals gefährlicher, sich dort hinabzustürzen? „Wer gewinnen will, muss ans Limit gehen, damals wie heute“, glauben die Helden unisono.
Kurzzeitig die Lust verloren, doch der Spaß ist zurück!
Apropos Helden: Dem Ski-Kaiser endgültig ein Denkmal gesetzt wurde 2021, als Andreas Schmieds Spielfilm „Klammer – Chasing the Line“ in die Kinos kam. In der teuersten österreichischen Produktion der Filmhistorie, in dem Schmied die Tage vor dem entscheidenden Rennen am Patscherkofel mit einer gehörigen Portion künstlerischer Freiheit verdichtet, fragt die damalige Freundin und spätere Frau Eva ihren Franz: „Wolltest du schon immer berühmt sein?“ Woraufhin dieser entgegnet: „Ich wollte immer nur Ski fahren.“ Damals mag das gestimmt haben. Später bekannte Frank Klammer, dass er nach dem Karriere-Ende eine Zeit lang keine Lust mehr hatte. „Inzwischen macht es wieder richtig Spaß. Wenn du oben am Berg stehst und dann die Piste hinuntergleitest – das ist immer wieder ein Glücksgefühl.“ Ihn treibt jedoch um, dass sich nicht mehr alle diesen Genuss leisten können und als Jugendliche nicht mehr Skifahren lernen: „Es müsste wieder Schüler-Skikurse geben. Wer einmal Blut geleckt hat, bleibt dabei.“ Negativ fällt ihm auf, dass viele Dorflifte zusperren. „Am Land hat man dort Skifahren gelernt. Es wäre gut, diese Lifte zu reaktivieren. Dann hätte man die Jugend später ewig auf den Pisten.“
Von Beruf Franz Klammer
Klammer denkt dabei vermutlich auch an seine drei Enkel. Felix, der älteste, teste bereits die Pisten. „Die halten mich ganz schön auf Trab“, bekennt er. „Ich bin sehr glücklich mit meinem Leben, aber es verläuft alles andere als ruhig.“ Das war es natürlich noch nie. Als er die Rennski in die Ecke stellt, versucht er, sich als Autorennfahrer und mit einer eigenen Bekleidungslinie, die Konkurs geht. Finanziell geht es sich trotzdem aus, obwohl die Helden der 70er-Jahre nur einen Bruchteil der Preisgelder der Ski-Profis von heute verdienten. „FK“ war dank seines Charmes und Lächelns immer ein gefragter Werbepartner: für seine Heimat Kärnten und Bad Kleinkirchheim, aber auch in eigenem Auftrag. „Ich bin von Beruf Franz Klammer“, räumte er in einem Interview einmal freimütig ein. Amerikanische Konzernlenker oder Prinzen aus dem Mittleren Osten müssen eine fünfstellige Summe hinblättern, um mit Klammer einen Tag Ski zu fahren oder Golf zu spielen.
Wer mag, kann mit dem Kaiser auf die Piste - aber nicht langsam cruisen!
Dabei hat er seine Wurzeln nie vergessen. „Ich lebe in Wien, aber meine Heimat ist Kärnten“, pflegt er zu sagen. Wann immer es geht, verbringt er dort Zeit: im Sommer auf dem Mountainbike in den Nockbergen oder auf dem Golfplatz, im Winter im Skigebiet von Bad Kleinkirchheim, wo alles begann. Wer den Ski-Kaiser persönlich und exklusiv erleben will, kann dort an ausgewählten Terminen „Ski vor 9“ buchen. Franz erwartet seine Gäste dann noch vor Sonnenaufgang an der Talstation der Kaiserburgbahn. Oben gibt’s nur einen schnellen Kaffee, dann geht es los auf den frisch präparierten Pisten. Die Weltcup-Abfahrt der Damen mit dem Klammer-Stich darf dabei natürlich nicht fehlen. Spaß wird jedoch nur haben, wer sehr gut auf dem Ski steht, denn Langsam-Cruisen ist so gar nicht das Ding des erfolgreichsten Abfahrers aller Zeiten – obschon der Tourismusverband verspricht, dass Klammer „Tipps für den perfekten Carving-Schwung“ gibt.
Worauf man auf jeden Fall hoffen darf: die ein oder andere Anekdote aus dem Leben des Ex-Profis beim Einkehrschwung im Klammer-Stüberl von Sepp Pulverer im Restaurant der Kaiserburg-Bergstation. Dort warten nach den olympiareifen Pisten zum Grande Finale ebenso olympiareife Genüsse. Wer dem Franz so ganz nebenbei und ohne geführte Tour begegnen möchte, der hat übrigens in der Skihütte „Zum Sepp“ von Birgit und Christian Prägant direkt an der Franz-Klammer-Abfahrt im Zielgelände und in der Weltcup-Poldl-Hütte von Leopold „Poldl“ Gruber die besten Chancen. Ja, auch an den „Futterstellen“ im Skigebiet dreht sich alles um Seine Majestät, den Ski-Kaiser. In jeder Hütte gibt es ein Kärntner Gericht, das dort dem Franz besonders gut mundet. Spätestens am Ende eines Skiurlaubs weiß man dann, auf welche kulinarischen Lieblinge der Klammer Franz bei einem Skitag in Bad Kleinkirchheim nicht verzichten kann und will.
Ein Leben wie im Roman
Es stimmt schon: Franz Klammer ist in seiner Heimat als Testimonial allgegenwärtig. Wie beliebt und bekannt er noch immer ist, wird überdeutlich, als am Abend nach dem Legenden-Rennen im Hotel Pulverer in Bad Kleinkirchheim die große Sause steigt. Mehr als 250 Gäste aus Politik, Wirtschaft und Sport machen dem Kaiser von Kärnten die Aufwartung. Sogar der (grüne!) Vizekanzler Werner Kogler gibt sich die Ehre, ebenso wie der langjährige ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel. Klar, dass das Gala-Dinner nahtlos in eine ausgelassene Party übergeht. Auch klar, dass dabei die alten Schoten aufgewärmt werden, die von Jahr zu Jahr spektakulärer klingen. Michael Veith, zusammen mit Sepp Ferstl der beste deutsche Abfahrer in den 70er- und 80er-Jahren, erzählt nur zu gern die Geschichte, wie Klammer – „einer meiner engsten Freunde“ – nur wenige Monate vor dem wichtigsten Rennen seiner Karriere mit dem Auto auf der Passstraße oberhalb von Sölden den Abflug machte, sich mehrere Male überschlug und erst 150 Meter weiter unten liegen blieb. Da hatte der Kaiser ohne Frage zu viel Gas gegeben. „Weißt, runter vom Gletscher kommt nach der Mautstelle doch so eine Rechtslinks-Kurve. Die heißt heut’ noch Klammer-Eck“, erzählt er, und man weiß nicht, ob er schief oder sich schief lacht. „Ein Lastwagen ist mir entgegengekommen: Der hat von mir nur die Bodenplatte gesehen.“ Wer das zum ersten Mal hört, versteht, warum der Titel seiner Autobiografie „Ein Leben wie ein Roman“ heißt.
So geht das weiter den ganzen Abend lang. Wer es noch nicht wusste, lernt, dass der Franz seine Eva tatsächlich 1975 im Urlaub in Tunesien kennengelernt hat, wo man bestenfalls auf Sand Ski fahren kann. Die Mutter seiner Töchter Sophie und Stephanie, mit der er seit 1979 verheiratet ist, hat damals als Studentin in Wien mit dem weißen Sport herzlich wenig am Hut und wusste längere Zeit gar nicht, in wen sie sich verguckt hat.
Ein königlicher Fauxpas
Tatsächlich war der Kärntner Bergbauernbub damals zwar schon ein begnadeter Skifahrer, aber noch kein Mann von Welt, dem das Parlieren in fremden Sprachen leicht gefallen wäre. Als er zu einer Audienz bei der belgischen Königin Fabiola (1928–2014) geladen ist, soll er einen auf Englisch eingeübten Satz aufsagen. Das gelingt dem Kaiser der scharfen Kanten nur teilweise, denn er erklärt der konsterniert blickenden Monarchin: „Your Royal Highness, it’s a great pleasure for you to meet me.“
Böse war ihm die Königin dennoch nicht. Mit der gewinnenden Art und dem spitzbübischen Lächeln gelingt es dem Franz stets, alle in seinen Bann zu ziehen. So ist das auch bei der Party in Bad Kleinkirchheim, bei der nicht weniger als zehn Olympiasieger versammelt sind. Für das Modell des zukünftigen Franz-Klammer-Platzes im Ort interessieren sich nur eingefleischte Architektur-Fans. Dem Ski-Kaiser nahe sein wollen hingegen alle. Und deshalb ist klar, dass „FK“ nicht der Erste sein würde, der nach Hause geht. Die „Tour de Franz“ geht bis in die Puppen weiter – was kein Problem ist: Schließlich steht am nächsten Morgen kein Early-Bird-Skifahren in seinem Terminkalender.
Das ist Franz Klammer
Geboren am: 3. Dezember 1953 in Mooswald, Kärnten
Weltcupdebüt am: 15. Dezember 1972 in Gröden
Karriereende am: 15. März 1985
Erfolge:
- Olympische Spiele: 1 x Gold (1976, Abfahrt)
- Weltmeisterschaften: 2 x Gold (1974, Kombination; 1976, Abfahrt), 1 x Silber (1974, Abfahrt)
- Weltcup: 5 x Sieger des Abfahrtsweltcups (1975–78, 1983), 2 x Dritter des Gesamtweltcups (74/75 & 76/77), 26 Einzelsiege (25 x Abfahrt, 1 x Kombination), darunter 4 x Sieger des Hahnenkammrennens und auf der Saslong (Gröden) sowie 3 x Sieger in Wengen, 45 Podestplätze
Skigebiets-Check: Bad Kleinkirchheim, Kärnten, Österreich
Reiseinfo
Wer nach dem Skifahren gepflegt entspannen will, ist hier genau richtig, denn in Bad Kleinkirchheim warten das Thermal Römerbad und die Therme St. Kathrein auf Wellness-Fans. Im warmen Wasser erholen sich die Muskeln von den Abfahrten auf den 103 Pistenkilometern, die sich auf die beiden Gebiete Bad Kleinkirchheim und St. Oswald verteilen. Man muss nur die Straße überqueren, um das Revier zu wechseln. Mit einer Seehöhe zwischen 1.100 und 2.055 Metern gehören die Nockberge-Pisten zwar nicht zu den höchstgelegenen Österreichs. Dafür genießt man im gesamten Skigebiet einen tollen Panoramablick über den südlichen Alpenbogen. Zahlreiche breite und weitläufige Hänge locken vor allem Anfänger und Familien an.
Entfernung von München: 300 Kilometer (Fahrzeit mit dem Auto ca. 4 Std.)
Ski & Spaß
Pisten und Lifte: Bad Kleinkirchheim / St. Oswald: 103 km Pisten, 18 km blau, 77 km rot, 8 km schwarz, 5 km Skirouten; 24 Liftanlagen; 1.100 bis 2.055 m
Pistenhighlight: Die 3,2 Kilometer lange Weltcupabfahrt „Franz Klammer“ überwindet eine Höhendifferenz von 842 Metern und ist bis zu 80 Prozent steil. Die beste Aussicht bietet die „Panorama“-Abfahrt (Nr. 15) vom Priedröf zur Nockalm.
Kulinarik & Genuss
Kärnten ist Slow-Food-Region – das schmeckt man mit jedem Bissen! Unbedingt probieren: regionale Spezialitäten wie Kärntner Kasnudln und Bauernkrapfen.
Hütten
23 Hütten und Bergrestaurants laden zum Einkehrschwung. Das beste Panorama bietet das Nock IN (https://berg-hof.at) an der Bergstation der Biosphärenpark-Bahn Brunnach. Wo man Franz Klammer begegnen kann, verrät unser Text.
Restaurants
„Loystubn“: Spitzenküche (von Gault-Millau mit zwei Hauben und 13 Punkten geadelt) in der 400 Jahre alten Bauernstube des Hotels Pulverer. www.pulverer.at/haubenrestaurant-loystubn
Schlafen & Wohlfühlen
Eine tolle Wellness-Landschaft bietet das Fünf-Sterne-Hotel „Das Ronacher“ (www.ronacher.com).
Weitere Top-Adressen: www.pulverer.at (5 Sterne), www.trattlerhof.at (4 Sterne)
Gut zu wissen
Saison: Mindestens bis zum Oster-Wochenende (1.4.2024)
Events
„Early Morning Skiing“-Event „Ski vor 9“ mit Franz Klammer: 6., 13. und 20. Februar 2024, Preis: 195 € pro Person (inkl. 2-Stunden-Skipass, Warm-up-Coffee-Snack und Bergbrunch); geeignet nur für Könner!
Tipps
Kombi-Skipässe kaufen, die gegen einen kleinen Aufpreis den Eintritt zum Thermal Römerbad miteinschließen!
Das Buch über den Ski-Kaiser: Adi Kornfeld: „Franz Klammer – Ein Leben wie ein Roman“, Sportwoche Verlags-GmbH