Ein – inzwischen angestaubter – Grundsatz lautet: harte Skischuhe für harte Kurven! Wer beim Skifahren hochsportlich auf der Kante unterwegs sein möchte, braucht zwingend einen High-Performance-Rennschuh, bei dem direkte Kraftübertragung wichtiger ist als ein hoher Komfort. Janik Schettel weiß dies nur zu gut. Er ist im Jugendbereich selbst Rennen gefahren und hat zudem für Dalbello und Völkl als Bootfitter im Ski-Weltcup gearbeitet und den Top-Athleten zum perfekten Skischuh verholfen.
Im Freizeitbereich sieht die Sache aber inzwischen komplett anders aus. Aufgrund intensiver Entwicklungsarbeit der Skifirmen gibt es von fast jedem Hersteller auch weniger hart abgestimmte und komfortablere Skischuhe, die auf der Piste eine exzellente Performance bieten. Denn die Wahl eines rennsportorientierten High-Performance-Skischuhs mit brachialem 130er- oder gar 140er-Flex siehe Premium-Skischuhe im SKIMAGAZIN #1 2023; Anm. d. Red.) hat auch einen Haken: Ein solcher Skischuh garantiert maximale Kontrolle des Skis, der Fahrer muss aber Abstriche in puncto Komfort in Kauf nehmen und sehr viel Power investieren.
Interview mit dem Skischuh-Experten
Hochsportliche Skistiefel sind einfach sehr kraftraubend. Ein weicher Skischuh hingegen ist biegsamer und auf den ersten Blick vielleicht auch bequemer, dafür wird er bei höherem Krafteinsatz und mehr Tempo auch schnell schwammig, und man büßt etwas Kontrolle über die Skier ein.
Wir haben mit Janik Schettel, Bootfitter bei Sport Schettel in Olsberg, über die Problematik gesprochen. Im Interview gibt der Skischuhspezialisten Tipps, worauf man beim Kauf achten muss, um einen Skischuh in der richtigen Härte, sprich mit dem idealen Flex-Wert zu finden. Denn eines ist klar: Nicht jeder, der hochsportliche Kurven fahren will, benötigt zwingend einen 130er-Skischuh!
Was ist der Flex-Wert
SKIMAGAZIN: Was versteht man grundsätzlich unter dem Flex-Wert?
Janik Schettel: Vereinfacht gesagt ist der Flex-Wert die Festigkeit des Kunststoffs im Skischuh. Über das Thema Flex wird viel diskutiert, weil der Wert oft sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Für den Flex-Wert gibt es keine Norm, daher kann es sein, dass Skischuhe von unterschiedlichen Herstellern mit dem gleichen Flex-Wert deutlich unterschiedliche Härtegrade haben.
130er-Flex ist also nicht gleich 130er-Flex. Variiert das auch je nach Skischuhtyp?
Das variiert. Der Flex-Wert ist nur ein Richtwert. Ein 130er-Rennschuh ist deutlich härter als etwa ein 130er-Hybrid- oder Freeride-Skischuh. Deshalb ist für Skifahrer, die Wert auf etwas mehr Komfort bei hoher Sportlichkeit legen, solch ein Modell sehr attraktiv, da es über einen Gehmechanismus verfügt, der dem Skistiefel zwar ein kleines bisschen Stabilität nimmt, beim Gehen und bei Einstieg aber für ein deutliches Komfortplus sorgt.
Der richtige Skischuh mit dem richtigen Flex-Wert
Wie finde ich den für mich richtigen Flex-Wert?
Was für mich entscheidend ist bei der Auswahl des richtigen Flex-Werts, sind die Faktoren Körpergröße, Gewicht und Anspruch bzw. das skifahrerische Können. Im Herrenbereich ergeben aus meiner Sicht Skischuhe mit einem Flex-Wert unter 100 gar keinen Sinn, weil sie zu weich sind. Mit der Kombination aus Größe, Gewicht und Können kann man dann den benötigten Flex-Wert bestimmen. Entscheidend ist vor allem der Hebel. Je größer ein Skifahrer ist und je längere Beine er hat, desto mehr Hebelwirkung hat er, und desto größer muss der Flex-Wert sein.
Wie findet ihr dann den idealen Skischuh?
Indem wir eben diese Werte in Relation zueinander setzen und dann einen Skischuh suchen, der zum Skifahrer passt. Wobei die Bestimmung des Flex-Werts keine exakte Wissenschaft ist. Ich schaue mir im Laden die Beuge- und Streckbewegung an, damit ich sehen kann, was für einen Hebel der Kunde hat. Er muss auf den Skiern noch in Vorlage kommen, sonst kann er nicht richtig Ski fahren. Wir haben immer wieder Kunden, die Probleme haben, in Vorlage zu kommen. Für die ist ein weicherer Skischuh eher geeignet.
Harter oder weicher Skischuh?
Fahren viele Skifahrer eher einen zu harten oder zu weichen Skistiefel?
Ich glaube, dass viele eher einen zu weichen Skischuh haben. Dann kommt man sehr stark in Vorlage und braucht viel Kraft für die Schwungeinleitung. Je härter der Flex, desto besser funktioniert die Kraftübertragung, und man kann den Ski präziser steuern.
Aber zu hart darf der Skischuh nicht sein?
Auf keinen Fall. Man muss schon in Vorlage kommen können. Ist der Skistiefel zu hart, kommt man nicht in Vorlage, sondern steht aufrecht auf dem Ski und gerät leicht in Rücklage. Dann geht auch Kontrolle beim Skifahren verloren. Aber das kann man ja schon im Laden ausprobieren. Wichtig ist hier, dass der Skischuh passt. Ich schätze, dass rund 70 Prozent aller Fahrer mit zu großen Schuhen fahren. Dann bringt auch ein hoher Flex nichts, da man in den Skistiefeln keinen Halt findet.
Skischuhe für jedes Alter
Wie merke ich denn selbst, welches mein richtiger Flex-Wert ist?
Im Grunde nur durch Ausprobieren und fachkundige Beratung. Es kommt dann auf die individuellen Faktoren an. Ein großer, kräftiger Anfänger beim Skifahren mit großem Hebel und hohem Gewicht wird wahrscheinlich einen härteren Skischuh brauchen als ein kleiner, leichter Genussfahrer. Wichtig ist vor allem, dass der Skistiefel passt. Hier bieten auch Allround-Modelle viele Möglichkeiten, mit Erwärmung oder Bootfitting den Skischuh auf den Fahrer abzustimmen.
Sollte man ab einem gewissen Alter weichere Skischuhe tragen?
Das stimmt leider meistens. Es schont vor allem die Gelenke, wenn man im Alter einen weicheren Skischuh fährt, weil das weniger auf die Knie geht. Man hat zwar einen weicheren Flex nach vorne, aber man muss sich vorstellen: Je härter der Skistiefel, desto mehr Schläge muss das Knie abfedern, weil ein harter Skischuh die Kraft direkter überträgt. Deswegen ist es ratsam, der Altersgruppe so ab Ü60 oder Menschen mit Knieproblemen weichere Skischuhe anzubieten, weil der Skistiefel geschmeidiger ist. Da die meisten älteren Skifahrer auch nicht mehr ganz so sportlich auf dem Ski stehen wie jemand aus der U30-Kategorie, ist ein weicherer Flex-Wert dann meistens kein Problem. Es gibt natürlich auch sportliche Skifahrer über 60, die einen harten Skischuh fahren, aber ab einem gewissen Alter, ist ein weicherer Skistiefel oft sinnvoller.
Vielen Dank für das Gespräch!
Unser Experte zum Thema
Janik Schettel hat seine Wurzeln im elterlichen Betrieb „Sport & Mode Schettel“ in Olsberg im Sauerland. Nach einer dreijährigen Einzelhandelsausbildung arbeitete er zwei Jahre in einem weiteren Fachgeschäft und befasste sich immer intensiver mit dem Thema Bootfitting. Von März 2018 bis Juli 2019 war er einer von zwei Bootfittern, die die Weltcup-Athleten des deutschen Traditionsunternehmens Völkl betreuten, zu dem auch die Skischuhmarke Dalbello gehört. Seit Sommer 2019 kümmert er sich im Familienbetrieb um die professionelle Anpassung von Skistiefeln.