Beim Sport65 Freeridecamp in Disentis sitzen wir zusammen bei einem Superbock und sinnieren über die Vorzüge unseres Sports, bis wir auf das Thema „Sommerloch“ kamen. Während die Biker sich einfach wärmer anziehen und auch im Winter radeln können, fehlt uns Skifahrern im Sommer schlichtweg der Schnee. „In Chile ist dann Winter“, wirft unser Bergführer Florian Hänel ein. „Ich war da schon zum Tourengehen und zum Klettern und kenne mich da aus.“
Ende August stehen wir also am Flughafen Frankfurt, mit Goretex-Jacken und Skischuhen als Handgepäck und zirkeln die großen Skibags um die anderen Urlauber mit Flip-Flops und Sonnenhut herum. Sommerurlaub mal anders.
Willkommen in der Skitouren-Hochburg Chile
Da die meisten internationalen Flüge in Chiles Hauptstadt Santiago ankommen, startet hier auch unser Südamerika-Abenteuer. Am Flughafen erwarten uns bereits Bergführer Florian Hänel sowie unser Transfer nach Farellones. Am Straßenrand stehen zunächst Wolkenkratzer, dann Palmen und Kakteen, doch im Hintergrund erblickt man schon den ersten Andenschnee. Am Straßenrand warten fliegende Händler, bei denen man alles für das spontane Schneevergnügen erwerben kann. Schlitten, Handschuhe, Mützen – wir sind ja schon gut ausgerüstet und fahren weiter.
Nachdem wir die vierzig Kehren hinter uns gelassen haben, kommen wir an unserer ersten Base an. Ein kleines gemütliches Hotel mit eigener Tankstelle, Imbisswagen und vor allem dem perfekten Sundowner-Platz nebst Heliport. Versorgt mit Drinks aus der Mall und den ersten Empanadas vom Imbisswagen verweilen wir hier, voller Vorfreude auf die nächsten zwei Wochen. Mit Mate und Muscheln aus der Dose genießen wir die fantastische Aussicht über Santiago. Jetzt sind wir wirklich in Chile angekommen.
Erste Schwünge im Andenschnee
Der erste Skitag bringt uns nach Valle Nevado, da hier der Schnee am vielversprechendsten zu sein scheint. Nachdem sich alle sortiert haben, geht’s ab zum Ticketkauf, wobei wir feststellen, dass die Preise schon mal denen in den heimischen Alpen in nichts nachstehen. Also ab auf die Bretter und die ersten Schwünge in den Andenschnee ziehen. Puh, Gott sei Dank das Skifahren doch nicht verlernt, obwohl natürlich der 14-Stunden-Flug und die Höhe zu merken sind, schließlich startet der unterste Lift auf 2.800 Metern. Wir bleiben zunächst einmal auf den Pisten, um reinzukommen und weil zwar Schnee vorhanden ist, die Qualität aber eher „dust on crust“-mäßig ist. Am Mittag beobachten wir noch einige Skiteams aus Europa beim Training, bevor wir dann via Traverse über das Skigebiet La Parva zum Hotelshuttle kommen. Die drei Hausgebiete Santiagos erinnern stark an europäische Skigebiete. Klar: Die Lifte sind etwas älter und die Auswahl an Pisten etwas kleiner, die Pistenqualität muss sich aber vor der europäischen nicht verstecken.
Das Ziel des nächsten Tages ist der La Parva mit 4.047 Metern. Wir fahren uns morgens noch ein bisschen im Skigebiet ein und nehmen den Lift zum höchsten Punkt, bevor wir den Aufstieg in Angriff nehmen. Ca. 100 Höhenmeter unterhalb des Gipfels müssen wir jedoch umdrehen, da dem Großteil der Gruppe noch der Flug und die aktuelle Höhe in den Knochen stecken. Wir können jedoch die Abfahrt zurück ins Gebiet in vollen Zügen genießen, und finden sogar noch etwas Pulver. Am Hotel angekommen heißt es dann packen, denn nachts um halb vier ist die Nacht vorbei, denn der Transferbus bringt uns zum Bahnhof nach Santiago.
Ein Land der Gegensätze
Wir starten früh in der Nacht und fahren vorbei an den Plätzen der Revolution von 2019, zum Bahnhof von Santiago und per Zug weiter nach Chillán. Nach schätzungsweise 246 unbeschrankten Bahnübergängen haben wir das Geräusch der Zughupe ebenso verinnerlicht wie die Kontraste der Lebensumstände zwischen Santiago und den Landbewohnern. Während in Teilen Santiagos kein Unterschied zu europäischen Großstädten zu erkennen ist, sieht man aus dem Zugfenster viele kleine Hütten mit Blechdach, die mit einem Abstand von zwei bis drei Metern in Reih und Glied nebeneinanderstehen und auf ein gutes Verhältnis zum Nachbarn hoffen lassen. Auch die Kulturlandschaft aus Weinreben und Feldern stehen im Kontrast zur Großstadt Santiago.
Am Bahnhof in Chillán erwarten uns schon unsere Fahrer Max und Sergio mit Kleinbus samt Hänger. Zunächst geht es zum Markt in Chillán. Touristentypisch decken wir uns zunächst mit Mate-Utensilien ein, bevor wir dann in einem kleinen Restaurant zu Mittag essen. Bestens gestärkt gehts weiter zur Rocanegra Lodge in Termas de Chillán.
Skitour mit Badesachen
Am nächsten Tag geht es auf liftunterstütze Skitour. Mit einer Besonderheit auf der Ausrüstungsliste: nämlich Handtuch und Badebekleidung. Wir starten mit dem lautesten Sessellift, den ich je gehört habe. Die Masten des „Otto“-Liftes sind alt, aber wunderschön feuerrot gestrichen. In Zeitlupe steigen wir hinauf, vor uns die Doppelvulkane Chillán Nuevo und Chillán Viejo. Oben angekommen wird aufgefellt und erst mal die Landschaft betrachtet; eine Weitläufigkeit, die man sich als Alpenskifahrer nicht vorstellen kann. Überall dampft es aus der Erde, doch der Vulkan ist zum Glück ruhig. Nach dem Aufstieg zum Cerro Pirigallo (400 Hm) erleben wir das erste Gipfelglück des Tages und dann – bricht der Vulkan aus!
Zwar ist keine Lava zu sehen, aber allein schon die riesige Rauch- und Aschewolke, die da gegenüber aufsteigt, zeigt, welche Kräfte hier am Werk sind. Dann gehts abwärts in Richtung der Thermalbecken. Perfekter Firn versüßt uns die Abfahrt, und dann sehen wir schon den dampfenden Bach. Also raus aus den Skiklamotten und rein in die Badehose. Bei ungefähr Körperemperatur lässt es sich ewig aushalten. Dies sind die angenehmen Seiten des Vulkanismus in den chilenischen Anden. Doch irgendwann muss man zurück, also raus aus dem Wasser, irgendwie versuchen, keinen Vulkansand mit in die Socken bzw. Skischuhe zu nehmen, und auf gehts zu den ca. 300 Höhenmetern Aufstieg, die uns wieder ins Skigebiet bringen. Und dann gehtʼs über eine perfekte Firnabfahrt zurück zum Skigebiet. What a day!
Bayrische Anden
Am nächsten Morgen geht es nach Curacautín zu Hans in die Andenrose. Schon verrückt, da fliegt man einmal um die halbe Welt und wird in tiefstem Bayrisch begrüßt. Hans ist schon vor vielen Jahren aus Oberbayern nach Chile ausgewandert und freut sich sichtlich, nach zwei schwierigen Jahren samt Pandemie wieder deutsche Gäste bei sich zu haben.
Nach einem gemütlichen Abend heißt es dann ab Richtung Corralco. Die erste Vulkanbesteigung steht an, inklusive Abfahrt in den mit Eis gefüllten Krater und dann durch den Urwald zurück. Nach ein paar Runs auf und neben der Piste, unterstützt durch die wahrscheinlich langsamsten Lifte der Welt, geht es gen Gipfel/Krater. Für die letzten 200 Höhenmeter schnallen wir die Steigeisen an bevor wir oben in den gewaltigen, eisgefüllten Krater des Lonquimay blicken. Nach der Abfahrt in den Krater, stärken wir uns mit einer Jause für die feine 1.000-Höhenmeter-Firnabfahrt und das anschließende Skaten über die Vulkangesteinsebene. Wir kommen uns vor wie auf dem Eisplaneten aus „Star Wars“, doch die auftauchenden Araukarien (Andentannen) geben Entwarnung. Am Ende des Schnees wartet schon unser Fahrer Max und bringt uns zurück zu Hans, der uns ein Mega-Asado vorbereitet hat.
Die Königsetappe
Am nächsten Tag heißt es wieder Transfer. Diesmal in die Heimat unseres Fahrers Max nach Pucón. Heute müssen wir schnell ein paar Snacks einkaufen und nochmals das Material checken, bevor wir dann früh ins Bett gehen, denn am nächsten Morgen steht die Königsetappe an: der Aufstieg auf den Villarrica. Mit Unterstützung zweier lokaler Guides starten wir in totaler Dunkelheit, nur mit Stirnlampen ausgerüstet, und kämpfen uns Meter für Meter gen Gipfel. Nach ein paar Minuten, als sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, stellen wir jedoch fest, dass oben am Vulkan immer mal wieder rotes Flackern zu sehen ist, sodass wir die Lampen ausschalten und unter dem Sternenhimmel mit Blick in Richtung des Kraters versuchen, einen Blick auf dieses Naturschauspiel zu erhaschen.
Nach 1.800 Höhenmetern Aufstieg erreichen wir den Gipfel, jedoch ohne Ski, da wir diese ca. 110 Höhenmeter unterhalb des Gipfels in ein Skidepot packen und mit Steigeisen versuchen, dem starken Wind zu trotzen. Oben angekommen werden wir fast weggeblasen, sodass wir doch etwas Sicherheitsabstand zum dampfenden Krater halten. Nach kurzer Zeit am Gipfel – es ist zwar wunderschön, aber auch furchtbar stürmisch – geht’s mit Steigeisen wieder bergab. Nachdem die ersten Abfahrtsmeter nach dem Skidepot doch eher Expeditionscharakter haben, finden wir noch feinsten Firn, der uns bis zu unserem Abholpunkt an den Cavas Volcánicas unter den Ski dahinschmilzt.
Skitour im Regenwald
Das nächste Ziel lautet Huilo Huilo, jedoch nicht ohne unterwegs die Termas Geométricas zu besuchen. Bei optimalen Bedingungen ist es möglich, den Villarrica zu überschreiten und direkt mit Ski zu den Termas Geométricas zu fahren. In einer engen Schlucht befinden sich auf ca. 500 Meter Länge 20 angelegte Becken, die mit geradezu ikonischen roten Stegen verbunden sind. Neben den heißen Becken mit unterschiedlichen Wassertemperaturen finden sich immer wieder Bäche und Wasserfälle mit eiskaltem Wasser, was in Verbindung mit den dampfenden Thermalbädern für eine einzigartige Stimmung sorgt.
Am nächsten Tag dann die Enttäuschung: Regen. Der erste Schlechtwettertag dieser Reise, doch eigentlich ganz passend – befinden wir uns doch im Regenwald. Während die einen noch ihre Wunden der letzten Skitouren lecken und die anderen dem Regen nicht trauen, lässt sich ein Teil der Gruppe von den hoteleigenen Mercedes Varios zum Schnee bringen. Die Stimmung auf der anderen Seite der Scheiben ist schwer in Worte zu fassen. Uralte Bäume, mit Moos und Flechten bewachsen, und auch der überall wuchernde Bambus werden durch den gerade fallenden Schnee gezuckert. Ein unfassbarer Anblick. Am Ende der Straße angekommen fellen wir ein letztes Mal bei unserem Chile-Abenteuer auf, denn wir wollen noch weiter hinauf Richtung Volcán Choshuenco. Bei der Abfahrt kommen wir dann noch mal in den Genuss des Sonnenscheins, der jedoch dafür sorgt, dass der Schnee eher bremst als gleitet. Sei es drum ...
Long way home
Nach beeindruckenden zwei Wochen heißt es: Heimweg antreten. Max bringt uns zum Flughafen nach Temuco, der zwar kleiner ist als manche Regionalbahnhöfe Deutschlands, die Flugzeuge sind dafür pünktlicher als die heimischen Bahnen. Durch die kleinen Fenster bewundern wir die mächtigen Vulkane und Hänge, die wir unter unseren Ski hatten, bevor wir in der 5,2-Millionen-Einwohner-Metropole Santiago landen. Die zwei Wochen stecken den meisten doch in den Knochen, sodass nur eine kleine Delegation sich ins Nachtleben der Hauptstadt begibt. Das Ziel ist das Viertel Bellavista, das mit den Graffiti geschmückten Bars und Clubs den größtmöglichen Kontrast zum Regenwald am Morgen darstellt. Die Reise der Gegensätze eben.
Am Samstag ist es dann Zeit für den Abschied. Aus dem Flieger werfen wir letzte Blicke auf die schneebedeckten Riesen der Anden, bevor langsam die Äuglein zufallen ...
Abenteuer Südamerika: ROADTRIP IN CHILE
Der moderne souveräne Staat Chile gehört zu den wirtschaftlich und sozial stabilsten und wohlhabendsten Ländern Südamerikas mit einer einkommensstarken Wirtschaft und hohem Lebensstandard. Das Land grenzt im Westen und Süden an den Pazifischen Ozean, im Norden an Peru (auf einer Länge von 160 Kilometern), im Nordosten an Bolivien (861 km) und im Osten an Argentinien (5.308 km). Die chilenischen Anden bilden einen der höchsten Gebirgszüge der Welt und weisen eine Vielzahl von Gipfeln über 6.000 m auf. Unter ihnen befindet sich der höchste Berg Chiles, der Ojos del Salado (6.893 m), welcher zugleich der höchste Vulkan der Welt ist.
KOSTEN:
FLUG: Frankfurt via Paris nach Santiago und zurück. Ca. 1.100 €
KOMPLETTREISE: Auf Anfrage ab ca. 3.299 € , Guiding durch UIAGM-Bergführer, Transfers vor Ort 13 Übernachtungen mit Frühstück in 2–3* Unterkünften (Landesstandard) etc.
SKIPÄSSE: 50–65 €/Tag
JAHRESZEITEN: Zum Skifahren ab Ende Juni bis Anfang Oktober. Wir waren Ende August bis Mitte September dort und hatten wunderbare Frühlingsverhältnisse mit stabilem Wetter und feinstem Firn. Früher in der Saison hat’s eventuell mehr Pulverschnee, aber auch die Gefahr von Schlechtwetter.
WISSENSWERTES:
TRANSFERS VOR ORT: Kleine Gruppen am besten mit Leihwagen, bei größeren Gruppen am besten Kleinbus mit lokalem Fahrer
BAHN: Das Bahnnetz ist sehr lückenhaft und z. T. durch Erdbeben (wie z.B. Concepción 2010) zerstört. Für lange Strecken gibt es oftmals recht günstige Busverbindungen
GEOGRAFIE: Chile ist wirklich lang. Also Zeit mitbringen, mindestens zwei Wochen, und gen Süden reisen, da sich die Natur immer wieder verändert – von trockenen steppenähnliche Bedingungen um Santiago bis zum Urwald bei Chillán und Regenwald bei Huilo Huilo; noch weiter unten geht’s Richtung Patagonien.
SPRACHE: Es empfiehlt sich, Spanisch zu können oder einen spanisch sprechenden Guide dabeizuhaben, da die Kommunikation auf Englisch oftmals sehr schwierig ist.
SKIGEBIETE:
LA PARVA, EL COLORADO, FARRELONES, VALLE NEVADO: Die „europäischen“ Skigebiete Chiles, Pisten, Hütten-Infrastruktur ähnlich den Alpen.
NEVADOS DE CHILLÁN: Kleines, aber feines Gebiet am Fuße des Doppelvulkan mit Möglichkeit zum Catskiing (wenn der Vulkan nicht aktiv ist)
CORRALCO: Kleines, eher flaches Gebiet am Fuß des Lonquimay, ideal, um ein paar Höhenmeter im Aufstieg zu sparen.
PUCÓN, VILLARRICA: Kleines Gebiet auf der Rückseite des Villarrica (momentan außer Betrieb)
BUCHUNG, ANFRAGEN: www.sport65.de, info@sport65.de
BERGFÜHRER: Florian Hänel, www.bergspur.com