Im Frühjahr ist es am Berg am schönsten. Zumindest mag ich die Zeit am liebsten. Im Tal schon schön warm, alles blüht, und man kann schon kurze Hosen tragen und seine weißen Beine der Sonne entgegenstrecken und schon die ein oder andere Ausfahrt mit dem Bike machen.
Am Berg oben dagegen liegt noch Schnee, meistens genug, um bis in den Frühsommer hinein gut Ski zu fahren oder die letzten hochalpinen Skitouren zu gehen. Normalerweise ist im April auf den Gletschern die beste Schneedecke, da es dort oft noch ergiebige Niederschläge gibt. Powdertage im Mai sind keine Seltenheit! Das sind meistens sogar die besten der Saison, es liegt genug Schnee, dass alle Steine bedeckt sind. Nur noch ganz wenige andere Tourengeher kommen auf die Idee oder haben die Motivation, noch Ski fahren zu gehen, sodass man viele Hänge für sich allein hat. Und die Abfahrten sind meistens noch sehr lang.
Alpine Gefahren en masse
Nicht aber im vergangenen Frühjahr. Im März gab es kaum Niederschläge, damit war für mich klar, dass im April und Mai sicher viel Niederschlag kommen muss, der ganze Winter war ja viel zu trocken. Aber auch im April und Mai war es fast die ganze Zeit trocken. Alle meine Pläne von hochalpinen Projekten und Nordwänden schmolzen dahin, zudem gab es viel Steinschlag und wahrscheinlich die schlechtesten Bedingungen, die wir im Frühjahr in den Alpen je hatten.
Viele alpine Hütten schlossen früher, da kaum oder nur noch sehr wenig Schnee lag, viele Routen waren zu gefährlich, und die Nordwände blitzten mit blauem Blankeis ins Tal (also zumindest dort, wo noch Eis drin war). Es gab massive Felsstürze, Erdrutsche und zum Teil schienen Berge und Grate in sich zusammenzubrechen. Es war wirklich besser, solche Gebiete zu meiden, da man nicht sagen konnte, welche Gefahren einen erwarten.
Entschädigung für den schneearmen Winter
Dann, Ende Mai, schaut es plötzlich so aus, als ob es kalt genug wäre, dass es oberhalb von 2.400 Metern schneien würde. Es braucht einiges an Überredungskunst, um meinen Filmer Andreas „Mone“ Monsberger noch mal für ein Abenteuer zu motivieren. Bevor ich meine Idee überhaupt komplett mit ihm geteilt habe, sagt er schon: „Ich hoffe, die Hütte ist noch offen, weil ich gar keinen Bock habe, das Zelt hoch zu schleppen!“
Aber die Greizer Hütte ist tatsächlich den ersten Tag wieder geöffnet, und so starten wir am 31. Mai nachmittags mit dem Auto und unseren E-Bikes im Gepäck von Mayrhofen nach Ginzling. Nach 30-minütiger Fahrt sind wir beim Parkplatz der Tristenbachalm im Floitental hinter Ginzling angekommen. Von da geht es weitere 30 Minuten mit dem E-Bike, Skiausrüstung auf dem Rücken, Kamera, Seil, Pickel, etc. vorbei an dem Weidevieh, das vor wenigen Tagen auf die Alm getrieben worden ist. Irgendwie fühlen wir uns etwas fehl am Platz – es ist doch alles grün neben uns, und die Kühe und die Almbauern werfen uns fragende Blicke zu ...
Die Motviation auf eine Skitour sinkt
Am Ende des Floitentals treffen wir durch Zufall den Hüttenwirt der Greizer Hütte. Wir helfen ihm, die Materialseilbahn zu beladen, und zwei Bier und a Schnapsl später nimmt er uns die Rucksäcke, Ski, Kamera und den Rest unserer Ausrüstung mit der Seilbahn mit rauf. Ehrlich gesagt war ich ganz schön froh, ihn getroffen zu haben, auch wenn ich zu dem Zeitpunkt schon gefühlt leicht einen sitzen hatte. Aber unsere schweren Rucksäcke nicht die 700 Höhenmeter hochtragen zu müssen, ist mir mehr als nur recht. Noch dazu beginnt es dann leicht zu regnen, und die letzten 300 Meter vor der Hütte hagelt und stürmt es so, dass ich kurz gar nicht mehr so motiviert bin für das finale Ski-Abenteuer der Saison.
Oben angekommen wird erst einmal eingeheizt. Es ist der erste Tag, an dem die Hütte wieder geöffnet hat, und außer dem Wirt, seiner Frau und paar Ziegen ist niemand oben. Bei dem Wetter ist das natürlich auch absolut kein Wunder ...
Schlaflos im Zillertal
So sitzen wir in der kleinen Stube und trinken den ein oder anderen Tee mit Rum. Es wird gekocht und Karten gespielt. Kein Empfang am Handy, draußen ist der Regen in Schnee übergegangen, und so vergeht die Zeit. Richtig gemütlich und fein. Um 23.00 Uhr schaffen wir es dann ins Bett, und irgendwie hofften Mone und ich, dass es um 3 Uhr, wenn der Wecker klingeln würde, draußen immer noch stürmen würde ... dann könnten wir liegen bleiben und erst ein bissl später auf den 3.379 Meter hohen Großen Löffler gehen.
Geschlafen habe ich sofort, allerdings nur für 30 Minuten, dann schlägt ein Windladen irgendwo an der Hütte die ganze Zeit ans Fenster. Ich bin kurz davor, durchzudrehen, da geht der Wecker. Ich kann es nicht glauben, dass jetzt schon 3 Uhr ist – und ich eigentlich nicht geschlafen habe. „Naja, was soll’s“, denke ich mir und stehe mit einer leichten Rum-Note im Mund auf.
Skitour in Trance
30 Minuten später starten wir mit den Tourenski an den Füßen. Mone kann immer noch nicht glauben, dass es mir ernst ist, bei dem Wetter los zu gehen. Ich weiß jedoch, dass sich das Wetter bessern und sich der Nebel verziehen würde – und dass wir schon bald die Sonne zu spüren bekommen werden. So mein Plan.
Also, die Sonne sehen wir auch, aber erst am Gipfel, fünf Stunden später, dass es so lang dauern würde, habe ich ihm vorenthalten. Habe ich aber auch nicht geahnt, denn zum einen steigen wir westseitig von der 2.227 Meter hoch gelegenen Greizer Hütte auf und zum anderen haben wir uns im Nebel im Dunkeln etwas verlaufen – und zudem war die Schneequalität in Kombination mit Hagel und Regen auch nicht gerade die Beste zum Spuren... Aber ich glaube, dem Mone fiel das gar nicht auf, der war nämlich die ersten drei Stunden sowieso wie in Trance und hatte Angst, dass hinter dem nächsten Felsen der Hüttenwirt mit einem Tee mit Rum auf ihn wartet.
Drohne statt Gipfelsieg
Als wir unter dem Gletscher ankommen, bricht der Morgen an, und wir sehen, dass es „oberhell“ ist. So nenne ich es, wenn über den Wolken die Sonne scheint. Das Wolkenmeer unter uns, der Gletscher über uns und der Grat zum Löffler zieht weit hinauf bis zum Gipfelkreuz. Von da gehen wir am Seil, da es wirklich wenig Niederschlag gegeben hatte und einige Spalten nur mit wenig Schnee bedeckt sind.
Drei Stunden später stehen wir 200 Höhenmeter unter dem Gipfelkreuz, als Mone sagt, er könne nicht mehr. Er sei fix und fertig. Einfach hat er es ja auch nicht gerade mit dem schweren Kamera-Rucksack, dem Splitboard – und seiner Kondition auf Meeresniveau. Also entschließe ich mich, die letzten Meter alleine am Grat bis zum Gipfel zu gehen. Mone startet in der Zeit seine Drohne und schießt einige ziemlich coole Aufnahmen.
Belohnung für die Strapazen
Oben angekommen erlebe ich ein Wahnsinnsgefühl: Die Kombination aus Hüttenabend, wenig Schlaf und der Tatsache, nach einer recht anstrengenden Tour endlich oben zu stehen, ist mega. Weit und breit ist niemand zu sehen. Der Ausblick und das Gefühl der Morgensonne auf meiner Haut sind ebenfalls einzigartig. Das Einzige, was nicht so mega ist, ist der abgeblasene und steinige Gipfelbereich. Von der Gipfelabfahrt habe ich mir etwas mehr erhofft, aber so ist es oft, dass weit oben der Gipfelbereich abgeblasen und (wegen Absturzgefahr) mit Vorsicht zu genießen ist. Ich überlege kurz, ob ich den Pickel in die Hand nehmen soll. Damit ich zumindest noch eine Chance habe, stehen zu bleiben, falls ich stürzen sollte. Jedoch wären die Chancen ziemlich gering, dass ich den Sturz stoppen könnte. Also sperre ich meine Bindung zu und vertraute auf meine Skitechnik – und auf meine müden Beine.
Weiter unten am Vorgipfel wartet Mone auf mich und strahlt über beide Ohren. Er meint, es seien so geile Aufnahmen, vor allem auf Video, als ich am Gipfel stehe, weil im Hintergrund die Sonne mit den Wolken und dem Zillertaler Hauptkamm ein ziemlich einmaliges Schauspiel geboten hat. Der Fernblick reicht vom vorderen Zillertal bis Rosenheim und Richtung Süden bis Wolkenstein und zur Marmolata.
Powder zum Saisonfinale
Der beste Teil liegt aber noch vor uns, denn am Gletscherbuckel liegen zehn Zentimeter Neuschnee ohne Windeinfluss, und so wedeln wir in großen Schwüngen runter Richtung Hütte. Die letzten 100 Höhenmeter müssen wir mit Ski am Rücken eine mittlerweile ausgesperrte Grasrinne runtergehen. Dort wartet schon die Hüttenchefin mit einem Blaubeerschmarren und einem kühlen Radler. Gott sei Dank kein Tee mit Rum, denke ich mir.
Nach einer kurzen Pause machen wir uns auf den Weg runter zu den Rädern, um zurück zum Auto zu fahren. Dort entdecken uns zwei deutsche Wanderer und tuscheln halbleise zueinander: „Das müssen zwei Einheimische sein, denn auf so eine blöde Idee kommt kein normaler Mensch! Am 1. Juni mit dem Rad hier noch zu fahren, um Ski fahren zu gehen.“
Ein Skitag im Juni
Ich werfe beiden einen fröhlichen Blick zu und sage, dass wir einen richtig schönen Skitag gehabt hätten, dass die Pisten oben in tollem Zustand und die Schneekanonen noch voll in Betrieb seien. Ob die beiden am nächsten Tag auch Ski gefahren sind? Ich weiß es nicht, aber ausgekannt haben sie sich auf jeden Fall nicht!
Fazit unseres Juni-Ski-Abenteuers: Man muss Sachen einfach ausprobieren, auch wenn man nicht genau weiß, was einen erwartet. Genau dann erlebt man wirklich einzigartige Momente. Aber Vorsicht: Natürlich soll eine hochalpine Tour durchdacht und geplant sein. Neben Gletscherspalten, Lawinen und Steinschlag warten ja noch andere Gefahren... etwa Tee mit zu viel Rum.