Von meinem Lieblingsort, einer Bank außerhalb des Ortes Wengen, lässt sich eine der faszinierendsten Bergszenerien dieses Planeten genießen. Ich liebe diesen Platz und seine magische Ruhe. Ein paar Chalets, ein Bauernhof – das war’s. Nach mehr als 30 Jahren hierhin zurückzukehren, ist einfach wundervoll. Am Tag zuvor aus Köln mit der Bahn angereist, entdecke ich den kleinen Ort wieder neu für mich. Wobei – viel hat sich nicht verändert. Klar, ein paar Häuser wurden modernisiert, aber der Grundcharakter dieses Schweizer Traditionsortes ist erhalten geblieben. Und so finde ich mich sofort zurecht.
Traumhafte Aussicht auf den Skiort Wengen
Zur beschriebenen Bank führt ein recht steiler Weg aus dem Dorf heraus. Von hier oben hat man einen traumhaften Blick auf den Skiort Wengen. Malerisch liegt er auf einem schmalen Plateau unterhalb des Männlichen-Gipfels. In seiner Verlängerung er hebt sich die Jungfrau. Der Berggigant mit seiner majestätischen Schönheit thront seit jeher über dem Lauterbrunnental und zieht – in Kombination mit seinen Bergnachbarn Mönch und Eiger – jedes Jahr Millionen von Touristen aus aller Welt in diese Region. Während ich die Szenerie genieße, kommen mir viele schöne Erinnerungen an meine Kindheit und die ersten Erfahrungen auf Ski in den Sinn. Ich muss etwa zwölf Jahre alt gewesen sein, als wir in den Osterferien zum ersten Mal mit der Familie nach Wengen fuhren. Skifahren – wow, das klang nach einer großen, weiten Welt. Für meine Geschwister und mich war das auf jeden Fall etwas völlig Neues. Ein kleines Chalet sollte für zwei Wochen unser Domizil sein. Es wurde einer der prägendsten Urlaube für unsere Familie. Tagsüber ging’s zum Skifahren – hinauf auf die Kleine Scheidegg oder den Männlichen. Unter entspannter Anleitung meines Vaters machten wir unsere ersten vorsichtigen Schwünge im Schnee. Carvingski waren zu der Zeit noch nicht erfunden, also bekamen wir entsprechend herkömmliche Bretter und Skischuhe vom Skiflohmarkt. Es lief gut, und nach zwei Wochen sah das Ganze schon recht ordentlich aus – zumindest in meiner Erinnerung. Nach dem Skifahren war Entspannen angesagt. Handys gab es damals noch nicht, also verbrachten wir die Abende nach dem gemeinsamen Essen mit Spielen, Lesen oder einfach Abhängen. Absolut großartig!
Faszination Skifahren - vor Eiger, Mönch und Jungfrau
Diese Rituale rund ums Skifahren mag ich bis heute. Meine Liebe zum Skifahren ist in dieser Zeit entstanden – eine Leidenschaft, die sich auf die gesamte Familie übertragen hat, sogar auf unsere Kinder, und bis heute anhält. Nun ja, es gibt wahrscheinlich Schlimmeres, als die Begeisterung für Skiaction inmitten alpiner Landschaft und frischer Luft weiterzugeben.

CHARMANTER ORT MIT GESCHICHTE
Begeisternd wirkte auch damals schon die Tradition des Ortes Wengen auf mich. Wengen steckt voller Geschichte, erkennbar bis heute an den Fassaden der zahlreichen klassischen Hotels aus dem frühen 20. Jahrhundert. Der Tourismus begann hier bereits im 19. Jahrhundert, als Thomas Cook die ersten Pauschalreisen aus Großbritannien in die Schweiz organisierte. Damals war die Reise durch die Alpen eine völlig neue Erfahrung für die britischen Touristen, die das Abenteuer in den Bergen suchten. Diese Reisen revolutionierten den Tourismus und brachten den Schweizer Bergregionen einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung. Cooks Kunden, darunter viele Frauen, fühlten sich besonders sicher, da sie in einer organisierten Gruppe reisten, was ihnen eine neue Unabhängigkeit ermöglichte. Dies förderte den sozialen Austausch zwischen verschiedenen Klassen und trug maßgeblich zur Entwicklung des Massentourismus bei. Heute erinnert sich kaum jemand daran, dass es diese frühen Touristen waren, die den Grundstein für den Tourismus in dieser Region legten. Bettina Zinnert, Geschäftsführerin von drei Hotels in Wengen, fasst es treffend zusammen: „Die Region hat durch den Tourismus unglaublich profitiert. Was früher ein armes Bauerndorf war, ist heute ein blühender Ferienort, der Gäste aus aller Welt anzieht.“ Natürlich hat die Entwicklung des Tourismus Wengen verändert – und doch bleibt es ein Ort, der seine Authentizität bewahrt hat. Eines der ältesten ortsansässigen Hotels ist das Grand Hotel Belvedere, das zur Hotelgruppe der Familie Zinnert gehört. „Unser Haus wurde 1904 erbaut und hat zwei Weltkriege überstanden“, erzählt sie stolz. „Es steht unter Denkmalschutz, und wir haben viele der originalen Elemente bewahrt.“ Dieses historische Ambiente macht Wengen so besonders. Während in anderen Orten die Traditionen oft dem Kommerz weichen, spürt man hier noch den Charme vergangener Zeiten. Wer sich etwa in der Lobby des altehrwürdigen Hotels umsieht, wird sofort verstehen, was ich meine. Auch wenn heute vieles moderner gestaltet ist, haftet die Tradition dem Gebäude auf eine positive Weise an.

AUTOFREIES WINTERSPORTPARADIES
Überhaupt harmonieren in Wengen Tradition und Moderne perfekt miteinander. Der Ort ist autofrei und nur mit der Zahnradbahn von Lauterbrunnen aus erreichbar. Schon damals, als wir mit der Familie anreisten, war das so – und es hat sich bis heute bewährt. Das Auto wird im Tal geparkt, dann lädt man um, und es geht hinauf. Diese Anreise ist etwas Besonderes und 110 wirkt entschleunigend. Wer, wie ich für diese Reisereportage, die gesamte Strecke mit der Bahn zurücklegt, kann gedanklich auf den Spuren vergangener Zeiten wandeln, als die Bahn das bevorzugte Reisemittel für lange Strecken war. Der Vorteil heute: Die Züge sind mit allen modernen Annehmlichkeiten ausgestattet. Von Deutschland aus lässt sich Wengen entspannt mit dem Zug erreichen. Und Bahnfahren in der Schweiz ist tatsächlich so einfach wie oft beschrieben. Dazu kommt die atemberaubende Landschaft. Von mir jedenfalls eine klare Empfehlung. Im Winter verwandelt sich Wengen in ein wahres Wintersportparadies, das mit seiner einzigartigen Lage und dem hervorragenden Skigebiet begeistert. Gemeinsam mit Grindelwald gehört Wengen zum Jungfrau-Skigebiet. Hier ist für jeden etwas dabei – vom Anfänger bis zum Profi. Auch Tourenfans und Freerider kommen voll auf ihre Kosten. Ein besonderes Highlight für erfahrene Skifahrer: Sie können sich an großen Teilen der 4,5 Kilometer langen Lauberhorn-Abfahrt versuchen, der längsten Abfahrt des Weltcups. Wer einmal vom Starthaus aus Richtung Wengen die Hänge hinuntergerast ist, wird die Leistung der Profis noch mehr schätzen. „Es ist vor allem im Januar ein besonderes Gefühl, auf dieser Strecke zu fahren, wo nur wenige Tage zuvor die besten Skifahrer der Welt unterwegs waren“, berichtet Andreas Mühlheim, Geschäftsführer des Lauberhornrennens. „Diese Abfahrt ist nicht nur wegen ihrer Länge einzigartig, sondern auch wegen der spektakulären Naturkulisse, die die Skifahrer begleitet.“

FASZINATION LAUBERHORNRENNEN
Das Lauberhornrennen selbst zählt zu den absoluten Highlights des Weltcupkalenders. Jedes Jahr im Januar strömen rund 60.000 Zuschauer nach Wengen, um die Abfahrtshelden live zu erleben. „Das Lauberhornrennen ist für die Region von unschätzbarem Wert“, erklärt Mühlheim. „Es ist nicht nur ein sportliches Highlight, sondern auch ein großes gesellschaftliches Ereignis, das Wengen in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit rückt.“ Doch Wengen hat weit mehr zu bieten als nur das Lauberhornrennen. Abseits der Pisten gibt es zahlreiche Winteraktivitäten. Schneeschuhwanderungen, Rodelbahnen und Winterwanderwege ziehen all jene an, die es etwas ruhiger mögen. Besonders bei Familien be liebt ist der „Fox Run“, eine Rodelbahn, die parallel zur Lauberhornstrecke verläuft. Für kleine Gäste gibt es am Männlichen das „Männlichen Children’s Paradise“, ein Übungsgelände, auf dem schon die Jüngsten ihre ersten Skierfahrungen sammeln können. Nach einem langen Tag auf den Pisten oder bei anderen Winteraktivitäten lädt Wengen zum Entspannen ein. Après-Ski in gemütlichen Bars oder der Besuch eines traditionellen Restaurants, wo regionale Spezialitäten wie Käsefondue oder Rösti serviert werden, sind der perfekte Abschluss eines ereignisreichen Tages. Doch im Gegensatz zu anderen Skiorten geht es in Wengen etwas ruhiger zu. Der Ort bleibt sich treu. Die einzigartige Natur, die tiefe Verbundenheit zur Tradition und die herzliche Gastfreundschaft machen ihn zu einem ganz besonderen Reiseziel. Wer einmal hier war, wird sicher immer wieder zurückkehren, davon bin ich überzeugt.
Dieser Artikel ist erschienen im SKIMAGAZIN Januar (#4/2025). Nachbestellen könnt ihr die Ausgabe hier: SKIMAGAZIN Januar (#4/2025)
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