Wer sich beim Skifahren Spaß und eine ordentliche Portion Nervenkitzel wünscht, dem sei am Kaunertaler Gletscher die „Black Ibex“ empfohlen. Die pechschwarze Piste, die an der Bergstation der Falginjoch-Bahn beginnt, ist mit einem Gefälle von fast 88 Prozent oder 41 Grad Österreichs steilste Abfahrt – und für die Einheimischen der Beweis, dass auch sie und nicht nur die Pitz-, Ötz-, Stubai- und Zillertaler Superlative im Skigebiet können.
Wer die Kaunertaler aber ein bisschen kennt, der weiß, dass ihnen das „Weiter, höher, schneller“ eher suspekt ist. Sie sind bescheiden geblieben, weil sie nicht vergessen haben, woher sie kommen. Noch in den 50er-Jahren war das Tal im Tiroler Oberland bettelarm.
Skifahren aus der Schweiz ins Kaunertal
Wirtschaftlich aufwärts ging es mit dem Kaunertal erst, als Anfang der 60er-Jahre der sechs Kilometer lange Gepatsch-Stausee geflutet wurde. Für die zweite Phase des Aufschwungs war dann Eugen Larcher verantwortlich: 1954 hatte er seinen Vater Eduard, von Beruf Bergführer, als Rucksackträger auf einer Hochtour zum Breithorn im Wallis begleitet, wo ihn die Lifte am Theodulgletscher faszinierten. Die Idee, so etwas auch im Kaunertal zu schaffen, ließ ihn nicht mehr los.
Es dauerte, bis er die Mittel beisammen hatte. Doch 1979 schuf Eugen Larcher mit der Gletscherstraße die Basis für die Erschließung der Eisströme als Skigebiet, das kurz danach an den Start ging. 2019, nach vier Jahrzehnten an der Spitze, übergab er die Geschäftsführung an seine Schwiegertochter Beate Rubatscher-Larcher, die Tochter des Mehrheitseigentümers Hans Rubatscher.
Energieeffizientes Skigebiet
Als diese im Dezember 2021 die neue Weißseejochbahn einweihte, ging das inmitten der Pandemie zwar etwas unter. Ein Leuchtturmprojekt in Sachen Energieeffizienz ist die moderne 10er-Kabinenbahn aber dennoch. Fotovoltaik-Zellen sind in die Gebäudehülle der Talstation integriert, sie decken bis zu 40 Prozent des Strombedarfs. Dieser fällt insgesamt relativ niedrig aus, weil Seilbahnbauer Leitner einen innovativen Direktantrieb verwendet.
Auf Sitzheizungen wurde verzichtet, weil heimischer Loden genauso warm hält. Die Talstation ist zudem so konzipiert, dass durch ein neuartiges Garagierungs-System ein Drittel der Kubatur und Fläche eingespart werden konnte. „Wir verfolgen einen ökologischen Weg, der nicht auf Verzicht, Einschränkung und Reduktion basiert, sondern bei dem Fortschritt und Technik die Errungenschaften unserer Zeit sozial-intelligent zusammenführen und nutzen“, sagt Rubatscher-Larcher. „Wir wollen Schritt für Schritt zu einem energieautonomen Skigebiet mit erneuerbarer Energie und Kreislaufwirtschaft werden.“
Auf dem Weg zum klimafreundlichen Skigebiet
Was ganz hinten im Tal auf dem Gletscher passiert, passt gut ins Bild: Schon seit Jahren geht das Kaunertal seinen eigenen Weg und will jedes Jahr besser werden auf der Reise in eine Zukunft als klimafreundliche Tourismusdestination. Anfangs war die Idee ein wenig aus der Not geboren. Denn beim Wettrüsten der Tiroler Skigebiete, beim alpinen Massentourismus, konnten die Kaunertaler nie mithalten, wurden mitunter von der Konkurrenz belächelt. Doch der rasante Klimawandel hat Nachhaltigkeit zu einem Mainstream-Thema gemacht – und das einstige Aschenbrödel in die Poleposition katapultiert.
Ende 2021 konnte das Tal erstmals die Früchte seiner Arbeit ernten: Es erhielt von der Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) ein Nachhaltigkeitssiegel und darf sich jetzt zu den „Best Tourism Villages by UNWTO“ zählen. Weltweit hatten sich mehr als 170 Destinationen aus 75 Ländern beworben, 44 erhielten einen Preis, das Kaunertal als einziger Vertreter Österreichs. Einer der ersten Gratulanten war Bundespräsident Alexander Van der Bellen, dessen Heimat das Tal im Tiroler Oberland ist.
Mit dem Bus ins Skigebiet
Zur Preisverleihung reiste damals Michaela Gasser-Mark, die Geschäftsführerin des Tourismusverbandes, nach Madrid. Die gebürtige Osttirolerin ist maßgeblich daran beteiligt, dass sich das Tal auf einen „grünen“ Weg macht, den Zuschlag für das Förderprojekt „Clean Alpine Region“ (CLAR) der Lebensraum Tirol Holding erhalten und im Rahmen dessen verschiedenste Initiativen angestoßen hat.
Wer mit ihr spricht, bekommt ein Gefühl dafür, wie hartnäckig für eine nachhaltigere Zukunft gekämpft werden muss. Als Beispiel nennt sie den Nahverkehr: Bis Mitte 2022 gab es nur drei Busse pro Tag, die vom Bahnhof in Landeck ins Tal fuhren. Jetzt verkehren sie stündlich bis Feichten. Lohnen wird sich das für den Betreiber kaum, denn im Kaunertal leben gerade einmal 1.500 Menschen, und im Frühjahr und Herbst kommen nicht sehr viele Gäste. Andererseits entfällt ein beträchtlicher Teil der CO2-Emissionen im Tourismus auf die Mobilität.
Ein Skigebiet ohne Öl
Wäre es da nicht vernünftig, die Mautstraße zum Gletscherskigebiet für den Privatverkehr zu sperren? Derzeit ist die Maut im Skipass inkludiert, es fallen also keine zusätzlichen Kosten an, wenn man sein SUV über die vielen Kehren bis auf 2.750 Meter hinaufjagt. Und wäre es nicht eine gute Idee, wenn die Hoteliers im Tal ihren Gästen den Verzicht auf den Pkw schmackhaft machen, indem sie zum Beispiel Rabatte gewähren oder lokal erzeugte Produkte wie Bergkäse oder Speck verschenken, wenn man für die Dauer des Skiurlaubs seinen Autoschlüssel an der Rezeption abgibt?
„Zu 100 Prozent nachhaltig werden wir nie sein“, sagt Gasser-Mark. „Aber wir setzen uns wenigstens in Bewegung, gehen den Weg Schritt für Schritt und nehmen dabei die Bevölkerung mit.“ Als Beispiel nennt sie das Förderprojekt „Raus aus dem Öl“. Es zeigt Hoteliers und anderen Tourismusbetrieben auf, wie sie die noch weitverbreiteten Ölheizungen durch klimaverträgliche Systeme ersetzen können.
Klimaneutrale Skigebiete bis 2035
Gasser-Mark weiß, dass Tirol beim Thema Nachhaltigkeit lange geschlafen hat. Der Skitourismus war ein Selbstläufer, die mächtige Bergbahn-Lobby setzte vor allem auf neue Gebietszusammenschlüsse, oft zum Schaden der Umwelt. Immerhin formuliert der „Tiroler Weg“ inzwischen klare Leitlinien. Es gibt Nachhaltigkeitsstandards und das neu geschaffene „Österreichische Umweltzeichen“ für Destinationen. Bis 2035 sollen 20 statt 10 Prozent der Gäste mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen, bei der Vor-Ort-Mobilität ausschließlich regenerative Antriebsformen zum Einsatz kommen. Andere Initiativen klingen noch weniger ambitioniert: So wird die Kennzeichnung der Herkunft von Lebensmitteln in der Gastronomie „ab sofort empfohlen“ – in der Schweiz ist das seit vielen Jahren eine Selbstverständlichkeit.
Ein Schritt in die richtige Richtung ist der „Tiroler Weg“ trotzdem, denn er verpflichtet die Skigebiete, bis 2035 „klimaneutral“ zu werden. Dabei sollen „neue Technologien konsequent zum Einsatz gebracht und verbleibende, unvermeidbare Emissionen durch regionale Klimaschutzprojekte ausgeglichen“ werden.
Vorteil: Gletscherskigebiet
Gasser-Mark freut es, dass auch die Juroren der UNWTO das Gletscherskigebiet nicht etwa als Malus, sondern als Chance gesehen haben: Dank der großen Höhe sei dort auch in Zukunft und in Zeiten des Klimawandels noch lange Wintersport möglich, meist sogar ohne den Einsatz von mittels Schneekanonen technisch erzeugtem Weiß.
„Nachhaltigkeit hat nicht nur eine ökologische, sondern auch eine soziale und wirtschaftliche Dimension“, betont die Tourismuschefin. Die Kaunertaler Gletscherbahnen, die Ende der 80er-Jahre die Bergbahnen Fendels am Talanfang übernommen hatten, betreiben in Summe 13 Aufstiegsanlagen und drei Gastronomiebetriebe. Mit rund 70 Ganzjahres-Jobs sind sie der größte Arbeitgeber der Region. Niemandem wäre geholfen, wenn diese Stellen wegfielen. Die Menschen müssten aus dem Tal viele Kilometer pendeln, was alles andere als nachhaltig wäre.
Skifahren statt Wellness
Zum Glück wird die Ökobilanz des Pistenskifahrens inzwischen differenzierter wahrgenommen. Man weiß, dass eine Woche Wellnessurlaub in einem Luxushotel im Bayerischen Wald deutlich mehr CO2 in die Atmosphäre bläst als ein ebenso langer Skiurlaub in Tirol, bei dem im Wohnmobil übernachtet wird. Zudem gibt es im Kaunertal überhaupt nur vier Hotels mit vier Sternen und entsprechend großen Wellnessbereichen. Viele Feriengäste gehen daher nach dem Skifahren ins „Quellalpin“ in Feichten und nutzen dort Schwimmbad und Saunalandschaft, was viel umweltfreundlicher ist.
„60 Prozent unserer Gäste kommen im Winter“, sagt Gasser-Mark. „Der Gletscher ist schon sehr wichtig für uns. Und deshalb liegt es in unserem ureigenen Interesse, ihn zu schützen.“ Natürlich weiß sie, dass dessen Abschmelzen nicht von den Nachhaltigkeitsbemühungen der Kaunertaler abhängt. Aber es sei eben wichtig, dass ein Umdenken stattfinde. „Früher lautete die entscheidende Frage bei neuen Liftprojekten: Wie viele Skifahrer befördert dieser pro Stunde ins Skigebiet? Heute heißt es: Wie viel Energie benötigt die Bahn, wie ökologisch ist sie?“
Skibegeisterter Bundespräsident
Fest steht: Auch mit der neuen, „grüneren“ Kabinenbahn gelangt man superschnell auf mehr als 3.000 Meter Höhe. Das Panorama hier oben ist eines der besten, das Tirol zu bieten hat. Man versteht, dass auch Bundespräsident und Lokalmatador Van der Bellen, immerhin viele Jahre Mitglied bei den Grünen, ein begeisterter Schneesportler ist.
Als Marcel Hirscher seinen Rücktritt verkündete, bedankte er sich bei „dem Jahrhundert-Skifahrer und Teufelskerl“. Und in den sozialen Medien postet er schon mal, dass es einfach nichts Schöneres gebe, als an einem sonnigen Märztag eine frisch präparierte Piste unter die Kanten zu nehmen.
Ein Traum für Skitouren
Um ein Gespür für die Dimensionen hier oben zu bekommen, lohnt es sich aber dennoch, den gesicherten Skiraum zu verlassen und mit Tourenski zur gut 3.500 Meter hohen Weißseespitze aufzusteigen. Von deren Gipfel blickt man nach Süden auf ein wahres Meer aus Eis und Schnee. Der Gepatschferner ist sogar der zweitgrößte Gletscher der Ostalpen. Schaut man hingegen nach Norden, sieht man das gesamte Kaunertal, eingerahmt von Kaunergrat und Glockturmkamm und mit dem Stausee in der Mitte. Bergführer Stefan Larcher fragt uns, ob wir wüssten, wie viel Prozent der Gesamtfläche des Tales auf das Skigebiet entfielen. Wir liegen mit unseren Schätzungen viel zu hoch, wundern und freuen uns gleichzeitig darüber, dass es nur 0,8 Prozent sind. „Zwei Prozent sind dauerhaft besiedelt oder bewohnbar“, ergänzt Stefan. „Und gewaltige 48 Prozent stehen unter Naturschutz.“ Im Sommer sei der Naturpark Kaunergrat mit Österreichs größter Steinbockkolonie sowie Hunderten von Schmetterlings- und Pflanzenarten der größte Trumpf des Tales.
Dann zieht Stefan, der im Kaunertal aufgewachsen und zu Hause ist, die Steigfelle ab. Vor uns liegt eine menschenleere XXL-Abfahrt über gut 1.600 Höhenmeter bis zur Mautstraße. Während wir über die weiten Flächen im oberen Teil cruisen, denken wir: Gut, dass aus der vor der Pandemie angedachten Skigebietsverbindung mit dem Langtauferer Tal in Südtirol nichts geworden ist und diese auch am Widerstand von Naturschutzorganisationen gescheitert ist. Eine Etage tiefer ist Konzentration angesagt: Stefan lotst uns durch ein Labyrinth aus Spalten, vorbei an haushohen Séracs aus blau schimmerndem Eis. „Schautʼs, dass ihr in meiner Spur bleibt“, ruft er uns zu. Als wir unten abschwingen, wissen wir: Die Kaunertaler sind auf jeden Fall in der richtigen Spur.
Infos: Kaunertal, Tirol
Ski & Spaß
Es gibt zwei Skigebiete: Der Winterberg Fendels (1.400 bis 2.300 Meter) am Eingang zum Kaunertal ist perfekt geeignet für Familien. Im Gletscherskigebiet, das sich am Talschluss in einer Höhe von 2.100 bis 3.100 Metern erstreckt, kommen auch gute Skifahrer auf ihre Kosten. Zudem gibt es dort spannende Freeride-Abfahrten und Touren-Optionen. Das Kaunertal ist nicht nur Vorbild bei der Nachhaltigkeit, sondern auch in Sachen Barrierefreiheit: www.kaunertal.com/de/Ihr-Kaunertal/Barrierefrei
Pisten & Lifte
Winterberg Fendels: 15 Pistenkilometer: 8 km blau, 5 km rot, 2 km schwarz sowie 4,5 km Rodelbahn; 6 Aufstiegsanlagen
Kaunertaler Gletscher: 50 Pistenkilometer: 22,5 km blau, 19 km rot, 8,5 km schwarz, 36 km Varianten; 7 Aufstiegsanlagen
Pistenhighlights
Black Ibex, die steilste Piste in Österreich mit fast 88 Prozent oder 41 Grad Gefälle. Sie führt von der Bergstation der Falginjoch-Bahn hinab zum Fernerlift (1 d).Offpiste & Skitouren
Am Winterberg Fendels gibt es einen Skitourenpark mit drei unterschiedlich anspruchsvollen Aufstiegsrouten. Freerider kommen vor allem am Gletscher auf ihre Kosten. Es gibt dort jedoch Spalten – wer sich nicht auskennt, bucht besser einen Bergführer: Stefan Larcher, Telefon: +43 650 3118903, E-Mail: info@stefanlarcher.at. Dies gilt auch für Skitouren, von denen die Weißseespitze (3.518 m) und der Glockturm (3.353 m) die bekanntesten sind.
Medien: Rudolf und Siegrun Weiss: „Ötztal – Silvretta“, Rother Skitourenführer.
Kulinarik & Genuss
Skihütten
Im Gletscherskigebiet laden das Gletscherrestaurant Weißsee und die Ochsenalm zum Einkehrschwung, am Winterberg Fendels das Restaurant Sattelklause und die Truyenstube.Schlafen & Wohlfülen
Im Tal gibt es rund 2.000 Gästebetten. Alle Infos hierzu auf: www.kaunertal.comWellness
Wellness-Möglichkeiten gibt es in einigen Hotels und im Quellalpin, dem öffentlichen Hallenbad und Spa in Feichten: www.quellalpin.atSkipass-Preise
Tageskarte Gletscher: Tageskasse für Erwachsene 58 €, für Jugendliche: 49 €, für Kinder: 35 €, online ab 42/36/25 €; Winterberg Fendels: 41/37/25 €. Der Skipass für den Gletscher ist auch am Winterberg Fendels gültig – nicht jedoch umgekehrt.Gut zu wissen
Saison
Kaunertaler Gletscher: bis 29. Mai 2023Winterberg Fendels: bis 10. April 2023