Das Thema Damenskischuhe wurde von der Industrie lange etwas stiefmütterlich behandelt. Vor allem sportliche Modelle mit hohem Flex und guter Performance gab es nur wenig, viel mehr wurden größtenteils Komfort-Boots für Genussfahrerinnen mit hoher Wärmeisolierung produziert. Dabei haben Skifahrerinnen ebenso ein Recht auf Premium-Schuhe, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind und bei sportlich-dynamischem Carven eine starke Performance zeigen. Zum Glück hat ein massives Umdenken stattgefunden, die meisten Firmen haben in ihren Entwicklungsabteilungen Frauen-Teams installiert und präsentieren nun auch leistungsstarke Damenskischuhe, die genau auf die weibliche Anatomie zugeschnitten sind. Im Interview sagt Boot-Experte Georg Bakos von der Sportperle in Hamburg, was sich in den vergangenen Jahren im Damen-Segment getan hat und warum für Frauen ein Schuh mit 110er-Flex absolut ausreichend ist.
SKIMAGAZIN: Georg, wie viele Frauen verlassen die Sportperle mit einem Herrenskischuh?
Georg Bakos: Fast keine.
Liegt das an eurer Überzeugungskraft?
Eigentlich muss man niemanden mehr überzeugen. Moderne Damenschuhe sind auf die weibliche Anatomie zugeschnitten. So liegt beispielsweise der Schaft bei Damenmodellen deutlich tiefer, da bei den Frauen der Ansatz der Wadenmuskulatur tiefer liegt. Daher würde ein Herrenschuh bei den meisten Damen drücken. Bei einer größeren Frau, die sehr sportlich fährt, kann ein Herrenmodell Sinn ergeben. Aber Damenschuhe gibt es mittlerweile in allen Facetten, also von bequem bis hochsportlich. Von daher können die Damen auch unbesorgt auf Damenmodelle zurückgreifen.
Es gibt also für hochsportliche Fahrerinnen auch Damenskischuhe?
Auf jeden Fall. Eine Firma wie Lange hat beispielsweise mit dem „RS“ auch einen sogenannten „Short Cuff“-Schuh, also mit kurzer Wade als Damenmodell, der auch als Race-Modell genommen wird. Der Schuh hat dann einen etwas niedrigeren Schaft und ist für sportliche Damen prädestiniert.
Anatomische Unterschiede gibt es aber nicht nur an den Waden, oder?
Damenfüße sind meistens etwas schmaler und haben vor allem eine schmalere Ferse. Unisexmodelle haben währenddessen oft mehr Volumen und sind etwas breiter. Daher passen viele dieser Schuhe nicht optimal bei normalen Frauenfüßen.
Haben Frauen denn bei Skischuhen andere Probleme als Männer?
Ein Problem bei vielen Frauen ist der Hallux valgus, also ein Schiefstand des großen Zehs. Das kommt oft, wenn die Damen hochhackige oder gern auch mal zu enge Schuhe tragen. Es kann aber auch andere Ursachen haben.
Was macht ihr als Skischuhspezialisten dann bei solchen Problemen?
Wir sind Bootfitter, messen die Füße der Kundin genau aus und wissen dadurch, welche Modelle infrage kommen. Dann müssen wir den Leisten entsprechend anpassen und in den jeweiligen Bereichen die Schale und den Innenschuh ausdrücken, damit der Zeh ausreichend Platz hat.
Hochsportliche Unisexmodelle haben einen hohen Flex, der bis 140 gehen kann. Wie ist das bei den Damenschuhen?
Ein sportlicher Damenschuh hat einen Flex bis ungefähr 110. Dabei darf man sich aber nicht von der reinen Zahl täuschen lassen. Eine Frau muss keine Angst davor haben, dass ein Schuh mit einem 110er-Flex zu wenig Performance hat. Die hochsportlichen Damenschuhe sind eben auf die weiblichen Fähigkeiten ausgelegt. Jeder Hersteller hat einen sportlichen Schuh, der in zwei verschiedenen Leisten angeboten wird.
Warum ist der Flex-Wert bei den High-Performance-Schuhen für Damen niedriger als bei den Herren?
Das hat auch biologische Gründe. Frauen haben normalerweise weniger Muskelmasse als Männer und können den Schuh daher auch weniger stark drücken. Ein Damenschuh mit 140er-Flex wäre zu steif. Frauen wiegen normalerweise auch weniger als Männer und können so weniger Druck ausüben. Von daher entspricht ein sportlicher Männerschuh mit einem 130er-Flex ungefähr einem Damenschuh mit 110er-Flex.
Frauen frieren, ebenfalls aus biologischen Gründen, oft schneller als Männer. Gerade an Fingern und Zehen. Wie nehmen die Hersteller darauf Rücksicht?
Seit einigen Jahren gibt es Hersteller wie Rossignol oder Dalbello, die in den Damenmodellen Primaloft einsetzen, damit der Fuß warm gehalten wird. Aber wenn der Schuh gut sitzt und gut passt, hat man die Probleme nicht, weil die Blutzirkulation nicht gestört wird. Sollte man keinen passenden Schuh finden, muss man eben mit der Anpassung durch Bootfitting nachhelfen.
Ein neues Thema ist das BOA-System. Glaubst du, dass gerade Frauen von dem neuen System profitieren können?
Ich glaube schon. Man kann leichter in die Skischuhe steigen, und ohne die Schnallen kann ich mir vorstellen, dass sich der Schuh besser an den Fuß anpasst und den Blutfluss nicht stört. Das Schließen ist natürlich auch einfacher als bei den Schnallenschuhen. Aber ich bin noch skeptisch, weil sich die Performance erst einmal beweisen muss.
Vielen Dank für das Gespräch!
Unser Experte zum Thema
Georg Bakos stammt gebürtig aus Karlsruhe, zog aber schon in jungen Jahren nach Hamburg. Seit über 25 Jahren arbeitet er im Einzelhandel in verschiedenen Skigeschäften. 2009 hat er dann die Sportperle in Hamburg gegründet. Das Skifahren liegt ihm von Geburt an im Blut, und so ist unser Skischuhspezialist auch als Tester seit Jahren regelmäßig beim SKIMAGAZIN-Supertest in Sulden dabei.
SKIMAGAZIN-Skischuh-Serie 2023/24
Auch im Winter 23/24 sprechen wir mit Experten über Neuheiten und Trends rund um das wichtige Thema Skischuh. Denn ohne optimal sitzenden Boot ist maximaler Fahrspaß schlichtweg nicht möglich. Die Themen:
- SKIMAGAZIN Oktober #1/2024: High Performance Boots: Was sind die Vorteile? Und für wen ergeben sie Sinn?
- SKIMAGAZIN November #2/2024: Innenschuh – der unterschätzte Teil des Skiboots
- SKIMAGAZIN Dezember #3/2024: Damen-Skischuhe: Warum sie auch für sportliche Fahrerinnen sinnvoll sind.
- SKIMAGAZIN Januar #4/2024: Bootfitting, Leistenbreite, Flex Index – das solltet ihr beim Skischuhkauf wissen.
In der Saison 22/23 hatten wir Experteninterviews u. a. zu Bootfitting und dem Unterschied zwischen Unisex- und Damen-Modellen. Diese und weitere Artikel findest du unter www.skimagazin.de/themen/skischuhe.