„Mehrere Faktoren entscheiden, welcher Schuh der richtige ist!“
Skischuh-Spezialist Janik Schettel über High-Performance-Boots
Beim Skifahren ist es ähnlich wie beim Hausbau. Um ein stabiles Gebäude zu bekommen, braucht man zunächst einmal eine solide Basis. Was das Fundament beim Hausbau ist, sind für den Skifahrer die Skischuhe, die die Steuerzentrale für jede Kurve sind. Und je besser die Skischuhe sind, desto besser wird das ganze System. Doch so ganz stimmt das nicht. Denn die besten Schuhe sind nicht unbedingt für jeden Skifahrer geeignet. Das sagt auch Janik Schettel, Bootfitter und Skischuh-Experte bei Sport Schettel in Olsberg, der schon im Weltcup den Völkl-Athleten die Schuhe perfekt angepasst hat.
SKIMAGAZIN: Janik, für wen ergibt der Kauf von High-Performance-Boots Sinn?
Janik Schettel: Die hochsportlichen Top-Modelle der Hersteller sind vor allem für dynamische Skifahrer gedacht. Allerdings muss man etwas aufpassen und darf nicht nur nach dem Flexwert gehen, der für viele den Maßstab für hochwertige Skischuhe darstellt. Der ist nicht genormt, insofern können sich die Schuhe trotz gleichen Werts in ihrem Härtegrad deutlich voneinander unterscheiden.
Warum ist der Flexwert nicht genormt?
Das kann nicht funktionieren, weil die Bauweise bei den Firmen, der Kunststoff, der in den Skischuhen verbaut wurde, und auch die äußeren Umstände wie die Temperatur zu unterschiedlich sind, um einen standardisierten Wert ermitteln zu können. Der Flexwert gibt vor allem eine Orientierung bei den Herstellern an, welches der hochwertigste Schuh mit dem höchsten Härtegrad ist. Aber man kann von der Festigkeit her etwa einen Atomic Hawx 130 nicht mit einem Lange RS 130 vergleichen, auch wenn der Wert der gleiche ist.
Das beantwortet aber nicht, für wen die hochsportlichen Schuhe geeignet sind und für wen nicht …
Tatsächlich sind die High-Performance-Schuhe nicht für jeden geeignet. Der Fahrer braucht erst einmal ein bestimmtes Gewicht, um einen harten Schuh überhaupt flexen, also biegen zu können. Ein sehr sportlicher, sehr guter, aber auch sehr leichter Fahrer bringt nicht genug Kilos mit, um den Schuh überhaupt richtig nach vorne drücken zu können. Beim Skifahrer müssen Sprunggelenk, Knie und Hüfte zusammenarbeiten. Wenn aber das Sprunggelenk durch den zu harten Schuh blockiert ist, kann man einen zu harten Schuh nicht so ausfahren, wie er eigentlich konstruiert wurde. Dabei darf man auch nicht vergessen, dass die Kraftübertragung bei diesen Schuhen sehr direkt ist. Durch den harten Kunststoff wird jeder kleine Fehler direkt auf den Ski übertragen. Wenn man hier falsch belastet, kann das sehr schnell zu einem Verschneiden der Ski führen. Wenn ich zudem den Schuh nicht richtig nach vorne drücken kann, weil ich zu wenig Kraft habe, gerate ich schnell in Rücklage und verliere die Kontrolle über die Ski.
Welchen Einfluss hat die Temperatur auf die Härte des Skischuhs?
Der Einfluss ist natürlich sehr groß. Ein Skischuh wird in Winterberg bei minus fünf Grad ganz anders funktionieren als in Kanada bei minus 20. Wenn ich einen Skischuh bei der Anprobe im Sportgeschäft bei vielleicht 20 Grad plus gut drücken kann, heißt das nicht, dass ich ihn auch auf der Piste bei Minusgraden richtig belasten kann. Je kälter es ist, desto fester wird die Schale. Das heißt nicht, dass der Schuh enger wird, nur der Kunststoff wird härter und dadurch steifer.
Brauche ich dann für kalte Temperaturen einen weicheren Schuh und umgekehrt?
Nein. Ich gehe bei unseren Kunden auch wenig auf den Flex ein, da diese nicht genormten Werte oft für Verunsicherung sorgen. Ich schaue mir lieber an, wie die Kunden in den Skischuhen stehen. Wichtig ist eben, dass man in der Lage ist, die Zunge auch nach vorne zu drücken und so auch Kraft auf die Ski zu übertragen. Viele Skifahrer werden durch einen zu harten Schuh blockiert und kommen nicht richtig in Vorlage. Ein leichter oder nicht sehr kräftiger Fahrer braucht daher eher einen etwas weicheren Skischuh, um nicht in Rücklage zu geraten.
Wie finde ich dann den Schuh, der optimal zu mir und meinem Fahrstil passt?
Der passende Flexwert wird aus drei Faktoren ermittelt. Erst einmal zählt das Gewicht, zweitens der Anspruch, den ein Skifahrer an seinen Schuh hat, und drittens schauen wir uns an, ob der Kunde richtig in Vorlage kommt. Viele Kunden gehen mehr mit dem Gesäß nach hinten und glauben dadurch, dass sie in Vorlage sind. Aber die richtige Beuge- und Streckbewegung funktioniert beim Skifahren nur, wenn ich den Schuh flexe, also die Zunge mit dem Schienbein etwas nach vorne drücke. Nur wenn ich beim Kunden diese drei Faktoren weiß, kann ich sagen, welcher Schuh in welcher Härte der richtige ist. Daher raten wir auch vom Schuhkauf im Internet dringend ab. Einige Kunden kommen in harten Schuhen nicht richtig in Vorlage; die werden mit einem weicheren Boot mehr Spaß haben. Natürlich braucht ein sportlicher Skifahrer einen härteren Skischuh, aber man muss eben auch die anderen Faktoren richtig beurteilen können, damit man nicht zum falschen Schuh greift.
Wie wichtig ist bei den High-Performance-Schuhen dann noch Bootfitting?
Bootfitting ist immer wichtig, egal bei welchem Modell. Denn nur wenn der Schuh richtig passt, kann man auch sein volles Potenzial ausschöpfen. Bei den High-End-Modellen kommt oft dazu, dass die Liner sehr dünn sind, damit die Kraftübertragung noch direkter wird. Da muss man die Schalen auch anpassen, damit nichts drückt. Gerade bei den Top-Modellen funktioniert das Bootfitting, also auch das Dehnen und Fräsen, sehr gut, weil sie durch den festeren Kunststoff sehr robust und gut zu bearbeiten sind. Hier darf man auch das Canting, also die Schafteinstellung, nicht vernachlässigen. Allerdings ist mittlerweile bei allen Modellen eine thermische Anpassung der Innenschuhe möglich, die in der Regel ausreichend dafür sorgt, dass der Schuh perfekt sitzt und man maximalen Fahrspaß hat.
Vielen Dank für das Gespräch!
Unser Experte zum Thema
Janik Schettel hat seine Wurzeln im elterlichen Betrieb „Sport & Mode Schettel“ in Olsberg (Sauerland). Nach dreijähriger Einzelhandelsausbildung arbeitete er zwei Jahre in einem weiteren Fachgeschäft und befasste sich intensiv mit dem Thema Bootfitting. Von März 2018 bis Juli 2019 war er einer von zwei Bootfittern, die die Weltcup-Athleten des Traditionsunternehmens Völkl betreuten, zu dem die Skischuhmarke Dalbello gehört. Seit 2019 kümmert er sich im Familienbetrieb um die professionelle Anpassung von Skistiefeln.