Im Wellnesshotel Lindenhof in Naturns gibt sich sogar der Weltmeister seiner Zunft die Ehre und entführt das begeisterte Publikum in eine Welt aus Düften sowie Licht- und Ton-Effekten.
In der riesengroßen Sky-Sauna im fünften Stock des Fünf-Sterne-Wellnesshotels Lindenhof in Naturns im Vinschgau in Südtirol haben mindestens zwei Dutzend Skiurlauber Platz genommen. Sie sitzen nah beieinander, Handtuch an Handtuch und blicken
Die Skifahrer erzählen sich, wie ihr Skitag oben am Schnalstaler Gletscher war. Machen Späßchen. Die Panorama-Scheiben der Sauna werden jetzt verdunkelt, eine Leinwand fährt herunter. Vor dem Saunaofen in der Mitte des Raumesstehen eine Musikanlage mit großen Boxen und ein Beamer. Verschiedene Requisiten auf dem Boden warten auf ihren Einsatz.
Wellness mit Batman
Vorhang auf für Batman! Um Punkt 17 Uhr betritt Claudio Massa die 90 Grad heiße Sauna des Wellnesshotels, verkleidet als junger Bruce Wayne im eleganten Smoking mit Fliege. Er schließt die Tür hinter sich, dimmt das Licht. Die Show beginnt. Während Claudio mit ätherischen Ölen getränktes Eis über dem Saunaofen schmelzen lässt, ertönt „Die Zauberflöte“. Plötzlich zwei Schüsse: Bruce’ Eltern werden bei einem Opernbesuch ermordet.
Die Musik wird lauter, Claudio eilt nach draußen, kommt keine Minute später in einem Mönchsgewand auf die „Bühne“ zurück. Er verkörpert nun den älteren Bruce, der sich in fernöstlicher Kampfkunst übt, um seine Heimat von Verbrechern zu säubern. Schauplatz ist ein Shaolin-Tempel – der zweite Aufguss duftet passend dazu nach Weihrauch und Myrrhe.
Sauna in drei Akten
Im dritten Akt betritt Claudio im schwarzen Batman-Kostüm und umhüllt von Trockeneis-Nebel die Sauna. Zu „Star Sky“ von Two Steps From Hell zeichnet er mit zwei Handtüchern in der Sauna eine Choreografie in die Luft, die ganz großes Kino ist.
Die weißen Tücher verteilen nicht nur den Aufguss-Duft bis in die letzte Ecke der Sauna des Wellnesshotels. Nein, Claudio wirft die Stoffe in die Luft, fängt sie virtuos wieder auf. Die Gäste klatschen im Rhythmus mit, feuern ihn an. Inhalieren den Duft von Nelken und grüner Minze. Fühlen sich stark wie Batman. Was für ein Finale! Noch 30 Sekunden, dann strömt das Publikum mit hochroten Köpfen nach draußen, den eiskalten Duschen entgegen.
Aus Süditalien ins Wellnesshotel
Auch der Saunameister wischt sich den Schweiß von der Stirn. Erst einmal tief durchatmen. Frische Luft in die Lungen lassen. Das Fledermaus-Kostüm ausziehen. 13 Minuten lang hat Claudio seine Fans in eine andere Welt entführt. Für ihn selbst ist es Schwerstarbeit bei 90 Grad. Aber es ist ein Job, den er liebt. Ein Job, von dem er nie gedacht hätte, dass er ihn einmal ausüben würde – weil er gar nicht wusste, dass es ihn gibt.
Claudio wuchs in der Basilikata in Süditalien auf, ausgerechnet. „Wenn man dort im Sommer schwitzen will, geht man einfach vor die Tür und stellt sich in die Sonne“, meint der 33-Jährige mit einem Augenzwinkern. Nein, eine Sauna besitze dort niemand. Und man zeige sich auch nicht nackt vor anderen. Erstmals in Kontakt mit der Wellness-Kultur gekommen sei er dann in einem Spa-Hotel in Florenz. Doch da wusste er schon: Er will gemeinsam mit seiner Freundin noch weiter nach Norden, dorthin, wo Deutsch gesprochen wird. Am Goethe-Institut paukte er jede Woche viele Stunden die schwierige Sprache. Heute erzählt er nahezu akzentfrei auf Deutsch mit Südtiroler Einschlag. Und schmunzelt darüber, dass es im Italienischen kein Wort für „Aufguss“ gibt.
Von Wellness zum Event
In der Sauna auf einer Holzbank sitzen, die Augen auf die eigenen Zehen gerichtet stumm vor sich hin schwitzen – das war einmal. Freizeit und Wellness wird heute als Event inszeniert. Das gilt natürlich auch für den Winterurlaub. Früher war die lange Talabfahrt vielleicht der einzige Höhepunkt des Tages. Heute braucht es Highlights am laufenden Band, mit denen sich die sozialen Medien füttern lassen. Vor allem dann, wenn Frau Holle sich als Spielverderber geriert und mit der weißen Pracht geizt.
Weil das in Südtirol relativ häufig passiert, haben sich Tourismusmanager und Hoteliers dort längst auf Ersatz spezialisiert. Die Hütteneinkehr wird zum kulinarischen Schaulaufen. Ein Event-Aufguss im Wellnesshotel verheißt Glück, Ekstase und Dopamin für 20 Minuten. Die Saunen sind in den Skihotels nicht ohne Grund im Wortsinn aufgestiegen: vom Kellergeschoss aufs Dach der Hotels, in die beste Lage.
Sauna-Bräuche aus aller Welt
Im Wellnesshotel Lindenhof wartet der Spa-Bereich mit sieben Saunen auf 5.000 Quadratmetern auf, unterteilt in Wellness Bereiche für Familien und Erwachsene. 2021 gab es dafür den „Wellness Heaven Award“ in einem europaweiten Vergleich. In der Schloss- und Family-Sauna mit niedriger Temperatur werden dem Nachwuchs lustige Geschichten erzählt. Es gibt intensive Hitzeaufgüsse mit viel Wasser und Eis für erfahrene Fans.
Wer Hitze in der Sauna dagegen nicht so gut verträgt, hält sich an die erfrischenden Aufgüsse, bei denen Mentholkristalle zum Einsatz kommen, die die Haut kühlen. Wie wäre es mit einer russischen Banja-Zeremonie, bei der man sich mit Birkenzweigen selbst „auspeitscht“ und so den Rücken massiert, was die Mikrozirkulation des Blutes anregt? Oder doch lieber ein Aufguss mit gesunden Salzen, Zucker, Peelings oder Fruchtextrakten?
Wellness gegen Winterdepressionen
Zum Abkühlen und Relaxen geht es im Wellnesshotel dann in einen der sieben Themen-Ruheräume. An die Vital-Büfetts, wo Knabbereien, Früchte und Getränke warten. Oder in den Whirlpool mit Massagedüsen und Traumblicken über das ganze Etschtal und bis zum Schloss Juval, der Residenz von Bergsteiger-Legende Reinhold Messner.
Wer möchte, kann sich auch als Gast nach intensiver Einschulung als Sauna-Meister beweisen. Einige Stammgäste hätten das schon ausprobiert, erzählt Joachim Nischler, der Seniorchef des Wellnesshotels Lindenhof. Er selbst sei ein großer Heißluft-Fan. Im Winterhalbjahr gehe er jeden Donnerstag regelmäßig zum Schwitzen. „Mit den Sauna-Landschaften und -Events haben wir uns eine Alleinstellung erarbeitet“, sagt Nischler. „Wir haben elf Monate im Jahr geöffnet. In der dunklen Jahreszeit ist der Wellness- Bereich die Wohlfühloase schlechthin. Und: Wir sind sehr froh, dass wir Claudio haben. Es ist unglaublich, wie emotional er Geschichten erzählen und spielen kann. Einige kommen ganz zur Ruhe, wenn sie allein in einer stillen Sauna sitzen. Andere lassen sich gerne in eine andere Welt mitnehmen.“
Piraten-Sauna oder Blues Brothers
Anderntags schneit es oben am Schnalstaler Gletscher: null Sicht. Wir beenden den Skitag schon zu Mittag. Und sind dennoch nicht traurig, denn im Wellnesshotel Lindenhof gibt es ja noch so viel zu entdecken. Zur Auswahl stehen heute ein „Smoke Ritual“ bei den Wasserbetten, ein Zitrus-Aufguss in der Bio-Sauna, ein Peeling im Dampfbad und ein Minze-Aufguss in der Finnischen Sauna.
Der Höhepunkt wird jedoch wieder der Show-Aufguss um 18 Uhr sein. Heute werden Claudio und sein Team als Blues Brothers auftreten, morgen dann als Jack Sparrow und die verfluchten Piraten der Karibik. Nicht ganz so aufwendig und etwas ruhiger sind die Themen-Aufgüsse inszeniert: Mal geht es um Kelten, Schotten oder Wikinger, mal um Tiroler, Berge, Almen oder Seen. „Das Programm wechselt häufig, das ist mein Anspruch“, sagt Claudio. „Wir passen die Betreuungsrituale den Jahreszeiten an.“ Steht ein neues Thema fest, verwandelt er sich in Schauspieler, Videograf, DJ und Licht-Animateur. „Ich halte mich mit Wandern und Joggen fit. Dabei habe ich Musik im Ohr. Oft kommen mir da die besten Ideen.“
Ausbildung zum Sauna-Meister
Intuition allein reiche aber nicht, es bedürfe einer fundierten Ausbildung zum Aufguss-Meister. Claudio absolvierte diese in Bruneck im Pustertal: „Dabei geht es um Themen wie Aromatherapie, Erste Hilfe und Physiologie. Aber man lernt auch die Basics der Handtuch-Choreografie und die Wedeltechniken. Ein guter Lehrer ist dabei Gold wert. Den hatte ich zum Glück.“
Der Süditaliener brachte nicht nur Talent, sondern auch die richtige Einstellung mit: „Bei 90 Grad arbeiten – das geht nur mit Passion, nicht mit dem Kopf.“ Tatsächlich sind für ihn aber die Relax-Aufgüsse anstrengender als die Shows. „Bei den ersteren haben die Gäste oft die Augen geschlossen. Es gibt keinen Blickkontakt, und es fließt weniger Energie. Wenn ich dagegen 15 Minuten mit Klatschen angefeuert werde und die Musik zudem die Stimmung anheizt, ist es einfacher für mich.“
Tragisch zur Sauna-Weltmeisterschaft
Während Claudio erzählt, schickt er seinen Lehrling an die Front. Die nächste Schicht übernimmt dann sein noch jüngerer, muskulöser und durchtrainierter Kollege, der in der Sauna oberkörperfrei das Handtuch schwingt. Die weiblichen Saunagäste sind in jeder Hinsicht begeistert. Natürlich auch wegen der hochwertigen Öle, auf die das Team setzt.
„Wir bekommen 15 Basis-Düfte von der Firma Bergila in Bruneck. Sie sind allesamt biodynamisch und werden vor Ort hergestellt. Was dann noch fehlt, beziehen wir von einem Vertrieb in Belgien, der sich auf Aufgussöle spezialisiert hat“, erklärt Claudio, der 2017 gemeinsam mit seiner Kollegin Giada Cappelli bei der Aufguss-WM in den Niederlanden für Team Italien den Titel holte. Die beiden konnten damals mit der Inszenierung ei er tragischen Liebesgeschichte zwischen einem Samurai und seiner Geisha die strenge Jury überzeugen.
Wellness in der Pandemie
Die Pandemie war eine harte Zeit für den Saunameister. Nicht nur, weil es keine Weltmeisterschaften gab, sondern weil das Wellnesshotel geschlossen blieb und auch die Saunen nicht befeuert werden durften. „Beim Neustart war es dann sogar mir anfangs zu heiß. Saunieren hat eben viel mit Übung und Gewöhnung zu tun.“ Jetzt hofft er, dass die Pandemie endgültig der Vergangenheit angehört.
Das familiengeführte Wellnesshotel Lindenhof feiert dieses Jahr sein 50. Jubiläum. Die Nischlers freuen sich darüber, dass sie endlich das lokale Thermalwasser für die Schwimmbecken nutzen dürfen, was noch einmal neue Optionen für den Spa-Bereich eröffnet. Die Hoteliers wissen: Stillstand bedeutet Rückschritt.
Handy in der Sauna
Claudio entschuldigt sich jetzt. Er muss mit seinem Team noch letzte Details für die nächste Choreografie besprechen und zudem einen Honig-Aufguss für die Sky-Sauna vorbereiten. Bereits in fünf Minuten wird er seinen Fans wieder ein „Gut schwitz!“ zurufen.
Ach ja: Wer jetzt denkt, dass Fotos und Videos aus der Event-Sauna neue Follower auf Instagram bringen könnten, wird enttäuscht sein: In den Hitzekammern gilt – natürlich – ein striktes Handy-Verbot.